I mean, Baby, come on
Neulich postete ich auf einem der vielen Kurznachrichtendienste (wie diese Dinger rätselhafterweise genannt werden), der die Nachfolge von Twitter.com antreten wollte, nachdem Twitter vom Faschismus ausgeixt wurde.
Ich kann den Enthusiasmus, mit dem viele sich auf der Flucht vor dem einen von einem Milliardär kaputtruinierten Netzwerk in die Arme des Netzwerks eines anderen Milliardärs werfen, zwar nicht recht nachvollziehen, aber das Posten von nischigen Witzchen ist mir mittlerweile so zur zweiten Natur geworden, dass ich mit zusammengekniffenen Zähnen eben auch dort poste und zwar neulich eben folgendes:
warum hab ich eigentlich keinen italian husband mit dem ich lustige kurzvideos drehen kann in denen ich ihm amerikanisches "essen" vorsetze und er spielt dann so italienisch und entsetzt und ich spiele so überrascht und amüsiert ich schwöre ich wäre sooo gut darin
Ich bin mir gar nicht so sicher, wie viel Erklärung diese Kurznachricht bedarf, denn sie bezieht sich auf eine Art Content, der mir sehr präsent ist, anderen aber möglicherweise gänzlich fremd. Denn wie alle scrolle ich in schwachen Momenten vollkommen erschöpft durch die so genannten For-You-Pages verschiedener Social-Media-Netzwerke, also jene Ansicht, in der Algorithmen ausrechnen, welche Kurzvideos dazu geeignet sind, mich weiter dort Zeit totschlagen zu lassen.
Der Himmel bzw. die Konzerne Meta Inc. und ByteDance Ltd. allein wissen warum, aber für mich sind das augenscheinlich Videos, in denen eine normschöne junge US-Amerikanerin ihrem ebenfalls normschönen und jungen Gatten (der US-amerikanisch mit einem „italienischen“ Akzent spricht, als wäre er beim Casting zum Spielfilm „The Godfather IV“) verschiedene US-amerikanische Gerichte vorsetzt, die dieser dem nationalen Klischee entsprechend campy überdramatisch als ungenießbar und Verbrechen gegen die Menschlichkeit mensplaint. Ich stehe nachwievor zu meinem Skeet – ich würde die Ehefrau wirklich sehr gut spielen können und viel Spaß daran haben, solchen Content zu createn, der anderen Meusen wiederum Freude oder immerhin ein Schmunzeln bereitet.
Es ist generell in meinem Umfeld gerade ein häufiges Smalltalk-Thema, was die For-You-Pages uns für Quatsch auftischen. Meine Freund*innen berichten diesbezüglich von Videos mit Unglücken beim Bergsteigen über welche mit jungen Frauen, die sich vorstellen als wären sie Personenkraftwagen, bis hin zu Videos, die betitelt sind mit „POV meine deutsche/serbische/chinesische/etc. Mutter macht irgendein nationales Klischee“ (BTW: was ist es überhaupt damit, dass POV nicht mehr bedeutet, dass aus der Sicht der im Titel erwähnten Figur erzählt wird, sondern eine Sicht auf diese Figur, also das genaue Gegenteil? Sprachwandel ist schon ein lustiges Ding!).
Neuerdings mischt sich natürlich noch AI Slop in den eigenhändig gemachten generischen Content, wobei wir vermutlich froh sein müssen, dass uns dadurch immerhin weniger Drohnenvideos (der davor schlimmste ästhetische Fehlgriff der Menschheit) angezeigt werden. Nur angesichts der urheber*innen-rechtlichen, ökologischen und eben auch ästhetischen Katastrophe, die Diffusion Models sind, fällt es vielen immer schwerer, sich darüber zu freuen. Generell bemerke ich gerade unter jungen Menschen eine immer stärkere Abneigung dem Internet als Ganzem gegenüber, die sich noch verstärkt hat, seit der Faschismus in den USA in full effect ist und die dort ansässigen Konzerne und deren Soziale Netzwerke sich nicht mal mehr den Anschein geben, etwas anderes zu sein als ein rechtsextremes menschenfeindliches Hellhole (für mich persönlich ist hier zumindest bei Meta auch no love lost, der Vibe eines Netzwerks, das ursprünglich zur Bewertung des Aussehens von Mitstudentinnen ohne deren Konsens konzipiert war, war für mich immer schon off). Und auch über die in der Volksrepublik China ansässigen Konzerne und deren Netzwerke lässt sich immer nur noch schwieriger Gutes sagen. Es ist schon objektiv zach, wie der Kapitalismus eine Technologie, die alle Menschen miteinander verbinden könnte und allen alle Informationen zugänglich machen hätte können, pervertiert hat zu einer alle krank machenden Maschine, die Faschismus und ästhetisch minderwertige Videos im Hochformat produziert und mit ihrem Energieverbrauch menschliches Leben auf diesem Planeten als solches gefährdet.
Und gerade wenn und da dies so ist, erscheint es mir umso wichtiger, dass wir in diesem gigantischen Shithole, zu dem das Netz verkommen ist, kleine geile Nischen aufbauen, in denen die zueinander passenden, für einander Gutes tuenden Meuse einander finden. Wenn und da die p.m.k IRL & AFK so etwas geschafft hat, habe ich Hoffnung, dass es auch diese neue Website und die aus dem gedruckten Programmheft hierher hin übersiedelte Kolumne schafft – und dass ich auch hier von meiner Sehnsucht schreiben kann, Ehefrau eines Foodsnobs zu sein und jemand es liest und versteht, wie es gemeint ist.
- Martin Fritz