Im „Akt“ bin ich aufgewachsen, in den Viaduktbögen beim Innsbrucker Hauptbahnhof. Da waren noch keine anderen Lokale dort. Nur das Akt. Und ich, ein Teenager. Mit dem Fahrrad jede Nacht hinuntergerast, von Hötting runter, Bad Brains im Ohr, so schnell es geht, so laut es geht, hoffen, dass mich Polizisten auf dem Fahrrad in der Altstadt dabei erwischen, wie ich durch die Fußgängerzone fege und ihnen entwische, weil ich wendiger bin als sie. Und dann hinein in den Viaduktbogen, Fensterklappe auf, Tür schnell zu hinter sich. Dann war man in Sicherheit. Dann konnte man vergnügliche Sachen machen. Zum Beispiel 24-Stunden-Konzerte spielen, zu zweit, eingesperrt in einem Käfig, in der Luft hängend. Oder anderen ihren frischen Liegegips wegschneiden und auf Seilen durchs Lokal schwingen. Und überdimensionale Tiroler Flaggen verbrennen, bis es qualmt und stinkt, dass alle zur Hintertür hinaus flüchten müssen. Oder Bibeln verbrennen - mit dem gleichen Ergebnis. Oder anklopfen und schreien: „Die Bullen kommen!“ und zusehen, wie wieder alle bei der Hintertür hinausrennen. Irgendwie war die Hintertür zum Akt mehr benutzt als die Vordertür, glaube ich. Vorne rein und hinten raus, oder gar nicht mehr raus. Es gab viele, die gar nie mehr rauskamen, die übernachteten im Akt, irgendwann dort wohnten, in einem Eck, mit oder ohne Schlafsack. Wir hatten auch kaum mehr eine andere Chance als dortzubleiben, denn irgendwann hatten wir in allen anderen Lokalen Innsbrucks Lokalverbot. Treibhaus, Utopia, Prometheus, etc. Sie alle wollten uns nicht mehr hineinlassen. Das war ärgerlich, auch wenn es mich nicht sonderlich störte; schließlich hörte ich Bad Brains „Banned in D.C.“. Ich teilte also das Schicksal mit meinen Idolen. Eines Tages waren selbst die Besitzer des Akt durch die Hintertür geflüchtet und hatten ein anderes Lokal eröffnet, wo sie uns nicht mehr hineinließen.
Damals gab es die p.m.k. noch nicht und das Akt nicht mehr lange. Das war kurz bevor Innsbruck versalzburgerlte, wie es so schön hieß, eintauchte in knapp zwei düstere Jahrzehnte, bis in dem Bogen neben dem Viaduktbogen, wo das Akt war, dann im nächsten Jahrhundert die p.m.k. eröffnete. Denn Ende der 1980er Jahre machten die „Chaostage“in Innsbruck Station, und dann stand man vor der Vordertür und verteidigte das Akt mit Ziegelsteinen. Und landete mit etwas Pech, wenn man nicht schnell genug hinten raus an den Gleisen entlang flüchten konnte in der nahe gelegenen Haftzelle der Innsbrucker Polizei. Diese Einrichtung gibt es heute immer noch, nehme ich an. Das Akt aber gibt es schon längst nicht mehr. Das konnte sich nicht halten und nicht mehr hinnehmen lassen. Zuerst wurde allen „Punkern“ das Sitzen an der Annasäule verboten, und bald danach waren die Vorder- und die Hintertür des Akt für immer zu. Und damit, schien es, hatten die Feinde der Subkultur die Schlacht um Innsbruck gewonnen, und was immer sich in den nächsten Dutzend Jahren in der gesäuberten Landeshauptstadt versuchte, der Haven etwa, war dem Tod geweiht. Innsbruck musste verschnaufen, sich entleeren, Ballast abwerfen. So wirkte das. Zumindest verließen fast alle, die ich kannte, die Stadt – wie ich selbst auch. Und man kam nur mehr höchst selten zurück. Da gab es ja die p.m.k. noch nicht. Das waren die grauen Zwischenzeiten Ibks. Der Viaduktbogen war leer, fast die ganzen Bögen dort waren leer, wieder leer oder noch leer, abgesehen vom Bogen 13, versteht sich. Doch irgendwann füllten sich die Bögen, einer nach dem anderen, mit Besserem und Schlechterem, jedenfalls füllten sie sich zunehmens und irgendwann schlossen sich Leute zusammen und stellten etwas Neues, etwas Einzigartiges auf die Beine, und das feiert nun seinen 5-jährigen Geburtstag, die p.m.k., mitten drin in den mittlerweile prallvoll gefüllten Viaduktbögen. Ein Glück, dass es sie gibt! Auch wenn sie nichts direkt mit dem Akt zu tun hat – Gott sei Dank! – so führt sie trotzdem das fort, was seit dessen endgültiger Vorder- und Hintertürschließung gefehlt hat in dieser Stadt, etwas, das in jeder Stadt fehlt, wo es so etwas nicht gibt, nämlich Freiraum, Raum, wo sich jenseits enger Grenzziehungen Kunst, Kultur, Subkultur entwickeln kann, wo Dinge zusammengeführt und weitergeführt werden, auch wenn sie scheinbar ins Nichts führen, Diskurse, Dispute, Lärm, wo Lärm gemacht wird und Menschen sich treffen, die in diesem Lärm mehr sehen als nur Lärm. Wo der Untergrund das erarbeitet, was er später dem Overground schenken wird. Wo das gemacht wird, was eine Kulturnation am dringendsten braucht: Basisarbeit.
Und so haben Musiker, Künstler, Nerds, Freaks, ganze Szenen wieder ein Labor gefunden, wo sie experimentieren und neue Mischungen erproben können. Und auch ich habe – nach Jahren der Abstinenz – wieder eine Heimat in der Heimatstadt gefunden, einen Platz, wo ich Konzerte spiele (wenn auch nicht 24-stündige) und Nächte verbringe (wenn auch ohne Flaggen- und Bibelverbrennungen). Die 80er im Akt, vorher noch im Komm unter der Uni-Mensa, das waren andere Zeiten, und es ist gut, dass diese abgeschlossen sind, gut, dass es weiter geht, gut, dass es heute die p.m.k. gibt, diesen Ort, wo Dinge möglich sind, die sonst nicht möglich wären in dieser Stadt. Hoffentlich gibt es sie noch lange, noch weitere 5 Jahre zumindest, oder lieber gleich 50, bevor Innsbruck eines Tages wieder eintauchen muss in ein neuerliches, temporäres Vakkuum.
Also lasst die Korken knallen heute: Hoch die p.m.k.! Ein fünffaches Hoch auf die Innsbrucker Subkultur! Heute ist es wichtiger denn je, dass diese einen Ort hat, an dem sie sich aufhalten, sammeln, entfalten kann. In Zeiten, wo fast alles zur Oberfläche drängt, um sich in Mittelmäßigkeit zu suhlen, brauchen wir sie - wir alle, egal, ob wir letztendlich dort einkehren oder nicht, egal, ob wir sie benutzen oder nicht, ihr Angebot annehmen oder ignorieren. Ein Land, eine Stadt braucht solche Orte, die anders sind, Orte, die das Andere ermöglich, Orte wie die p.m.k. !
Hans Platzgumer