Am 23. März 2020 postete Britney Spears auf Instagram ein Zitat der queeren Brooklyner Künstlerin und Aktivistin Mimi Zhu, in dem als Reaktion auf die aktuelle Lage u.a. zum Streik und zur Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums aufgerufen wurde. Die zuhause an ihren Endgeräten Sitzenden nahmen dieses Posting in der Mehrzahl zum Anlass, sich über das reiche, Kommunismus predigende Pop-Sternchen lustig zu machen – ganz so, als trauten sie Spears nicht zu, sinnerfassend lesen zu können. Ganz so, als könnte nicht in den 1990ern eine aus der Provinz des Bible Belt stammende Teenagerin Sympathien für die republikanische Partei bekunden und 2020 eine fast 40-Jährige Mimi Zhu zitieren. Oder haben diese Leute in den letzten 25 Jahren selber nie ihre Meinung geändert, nichts dazugelernt?
Britney Spears lebt bekanntlich seit ihrer rechtlichen Entmündigung vor über einem Jahrzehnt in teilweiser Isolation von ihrer Familie und weitgehend ohne die Möglichkeit ihren Beruf selbstbestimmt auszuüben. Einen ähnlichen Kontrollverlust, eine Trennung von wichtigen sozialen Kontakten und eine eingeschränkte Möglichkeit, unsere gewohnten Tätigkeiten auszuüben, erleben wir gerade ebenfalls alle. Auf diese Überforderung reagieren wir mehr oder weniger hilflos mit öffentlichen Tagebüchern, Livestreams, Hot Takes, Essays und Podcasts, sind alle Virologen und Experten (gendern jeweils unnötig!) für Sölden geworden und haben alle mehrere Betrachtungen dieser Lage auf der Meta-Ebene gelesen (oder geschrieben) – und dann noch Meta-Betrachtungen der Betrachtungen darüber, wie wir mit einer Situation umgehen, die uns überfordert.
Als ich selbst zuhause am Notebook in den 360°-Panoramaaufnahmen des Kitzlochs herumscrollte (es ist exakt so wie erwartet, so langweilig und banal ist die alte neue Normalität auch manchmal) anstatt endlich Romane zu lesen, zu schreiben und Brot zu backen gleichzeitig, da bemerkte ich, woher meine Lähmung kam: Ich habe einfach Angst. Zum ersten Mal in meinem Leben ist etwas passiert, das wirklich alles, wie wir Menschen zusammenleben, in Frage stellt und durch das sich grundsätzlich alles ändern könnte.
Seit ich im engeren Sinn denken kann, bin ich davon überzeugt, dass alles an unserer Gesellschaft sich grundsätzlich ändern muss. Es war doch immer die sicherste Überzeugung: Dass es ‘so weiter’ geht, ist die Katastrophe! Und jetzt, wenn es einmal anders weiter geht, habe ich: Angst. Es ist mir zwar peinlich, aber das ändert halt auch nichts daran.
In dieser Situation tat ich, was ich in solchen Situationen immer tue: Ich habe gelesen, was schlauere Leute als ich geschrieben haben. So bin ich auf einen Essay der Autorin Laurie Penny gekommen, in dem sie beobachtet, dass diese aktuelle Krise wenig zu tun hat mit den Apokalypsen, wie wir sie aus Comics, dem Kino und den Streamingdienst-Serien kennen: Es findet kein heroischer Kampf weniger Auserwählter gegen die klar identifizierbaren Bösen statt. Entscheidend für das Überleben ist dagegen kollektives Handeln und Care-Arbeit (und wir alle wissen ja, wer die meistens schlecht bezahlt oder unbezahlt ausübt). Eine solche genau umgekehrte Dystopie würde ich übrigens gern mal als Superhelden-Film sehen: Es geht nur um die Leute, die alle wieder zusammenflicken und gesund pflegen, während außerhalb der Aufmerksamkeit der erzählten Welt irgendwelche Kämpfe stattfinden – nur interessieren die halt nicht, denn entscheidend sind sie nicht.
Auch die Universitätsprofessorin Sabine Hark betont in einem aktuellen Text ähnliches: Unser gewohntes Modell eines Kampfs und Siegs gegen einen klar von uns geschiedenen Gegner versagt angesichts eines Virus’: Das kann, will und tut eben nichts – außer sich innerhalb von Organismen zu reproduzieren. Deshalb können wir nicht so tun, als könnten wir es getrennt von uns bekämpfen. Wir sind, ob wir das wollen oder nicht, mit dem Virus (wie mit allem eben) existentiell verbunden. Statt gegen das Virus zu kämpfen, müssen wir also lernen, wie wir mit dem Virus leben können. Wir müssen uns auf unser existentielles Aufeinander-Angewiesensein besinnen. Und das bedeutet halt nur scheinbar paradox gerade: füreinander voneinander physische Distanz halten. All dies sind übrigens Lektionen, die jene, die es betraf oder die es wollten, bereits in den 1990ern angesichts der Bedrohung durch das HI-Virus verinnerlicht hatten.
Und wenn das die Lehren sind, die schlaue Leute aus der Pandemie ziehen, dann bleibt mir nur zu hoffen, dass es in Zukunft so anders und besser weiter geht, dass auch nach der aktuellen Krise gilt, was Spears mit Zhu gesagt hat: Communion moves beyond walls. We can still be together.
- Martin Fritz