Nur Meer.

Manchmal ist alles anders. Man sitzt nicht im Büro sondern irgendwo an einem wunderschönen einsamen Strand. So wie ich gerade. Es ist schon Herbst und das Meer ist stürmisch. Meterhohe Wellen ­brechen unaufhörlich. Ich geniesse diesen grauen stürmischen Herbst am Atlantik…Die Touristen sind längst abgereist, kilometerlang sind die Strände leer, das Meer schäumt wie wild, die Ausläufer der ungeheuer hohen Wellen treten weit über die Ufer und vermischen sich mit dem Wasser, das durch den Regen aus dem Landesinneren kommt… manchmal ergibt das reissende kleine Sturzbäche, die sich ihren Weg tief in den Sand graben um zurück ins Meer zu fliessen und einem durch die so plötzlich ­entstehende starke Strömung immer wieder den Weg abschneiden, dass man nur unter abenteuerlichem Einsatz von Mut überhaupt wieder nach Hause kommt… Angesichts dieser ungeheuerlichen Kraft der Wellen, dieser ungeheuerlich Kraft von Ebbe und Flut scheint alles andere nebensächlich. Ich fühle mich frei, auf mich selbst zurück­geworfen. Die Luft ist feucht und salzig durch die Gischt. Mir fällt ein altes nordisches Märchen ein, in dem es heisst, das Meer sei salzig, weil irgendwo auf dem Meeresgrund eine magische Salzmühle mahle. Woher kommt eigentlich wirklich diese schier unerschöfpliche Menge an Salz. Und woher diese ungeheuerlich Kraft der Wellen und Gezeiten? Ich verliere mich in Gedanken wie diesen. Ich denke daran, dass ich eigentlich ein Vorwort schreiben sollte, das irgend etwas mit Kultur, unserem Programm im Herbst oder vielleicht mit Weihnachten zu tun hat. Aber das Meer in seiner Urgewalt zieht mich immer wieder in seinen Bann und zerstört jeglichen Einfall, den Wellen gleich, die sich sich stetig aufbauen um im nächsten Moment wieder in sich zusammen zu brechen. Wenn ich an zu Hause denke, denke ich nicht an die hektische Betriebsamkeit des Alltags, viel mehr kommt mir in den Sinn, dass früher, ganz früher in grauer Urzeit dort wo wir heute leben auch nichts anderes war als tiefer Ozean. Ein Traum fällt mir ein. Irgendwann einmal bin ich im Traum in einem wohlig warmen Urmeer geschwommen und dabei mit den Füssen an der Nordkette angestossen.

… Und ich denke an das wunderschöne Gedicht von Erich Fried:

Meer

Wenn man ans Meer kommt
soll man zu schweigen beginnen
bei den letzten Grashalmen
soll man den Faden verlieren
und den Salzschaum
und das scharfe Zischen des Windes einatmen
und ausatmen
und wieder einatmen
Wenn man den Sand sägen hört
und das Schlurfen der kleinen Steine
in langen Wellen
soll man aufhören zu sollen
und nichts mehr wollen wollen nur Meer
Nur Meer

… und ich beschliesse, es dabei zu belassen.

Ulli Mair