Die junge australische Popmusikerin Courtney Barnett spielt im Musikvideo zu ihrem Song „Avant Gardener“ mit ihrer Band ein Tennis-Doppel und ein Labelkollege und Lookalike des jungen Bob Dylan spielt darin den (Lula Parker Betenson lesenden) Schiedsrichter der Partie. Im Text des Songs wird ein Asthma-Anfall geschildert, der für alle, die so etwas schon einmal erlebt haben, leicht auch als Panikattacke lesbar ist. Und wenngleich an Panikattacken nichts cool ist und die Musik dazu auch merkwürdig absichtsvoll aus der Zeit gefallen (sofern das heutzutage noch möglich ist, wo eh alles gleichzeitig geht) altmodisch klingt (früher, als solche Bezeichnungen noch Sinn ergaben, hätte das wohl Indie-Rock geheißen), versprüht Courtney Barnett eine Coolness, wie sie eben Popstars zu ihrer Zeit, im richtigen Moment jeweils ausstrahlen.
Der österreichische Autor Clemens J. Setz wiederum zog neulich in einer Rede den Begriff „Kayfabe“ aus dem amerikanischen Profiwrestling als Erklärungsmuster für ungefähr alles heran. Es ist nicht ungewöhnlich, ein vertrautes gesellschaftliches Phänomen zur Erhellung der gesamten Welt zu benützen – einige mir sehr liebe und nahestehende Personen tun das wie Setz mit Wrestling, so wie ich derzeit alles mit Drag betrachte und in allem Drag sehe. Die einen sehen halt als Kinder Bret „The Hitman“ Hart im Fernsehen, die anderen The Supremes und alle denken sich dann zuerst: „So will ich auch sein“ – und sehen später die in ihrer ersten Liebe wahrgenommenen Muster überall sonst in der Welt. Kayfabe jedenfalls ist laut Setz die im bekanntlich geskripteten Wrestling geltende Regel, dass die Wrestler (Wrestler*innen spielen dort leider nur untergeordnete Rollen) niemals aus den ihnen vorgeschriebenen Rollen (Bösewichte und Helden) und Storylines fallen, was in solcher Konsequenz durchgeführt wird, dass die Wrestler ihre Rollen sogar im Privatleben weiterführen und es so zu komplexen Wechselwirkungen kommt zwischen dem Leben abseits des Rings und den Storys im und rund um den Ring. Auch abseits des Wrestlings ist zu beobachten, dass Menschen sich verhalten wie in den Geschichten, die sie kennen: Real-Life-Kayfabe sozusagen, Ausgreifen der Fiktion auf die Realität. Das ist per se weder gut noch schlecht, denn irgendwie müssen sich die Leute halt verhalten, doch manchmal nervt es. Ein Skript, das v.a. männliche Provinzintellektuelle hierzulande immer noch gern nachspielen, ist das des Querdenkers. Der Querdenker ist ein kritischer Kopf und hat ein mehr oder weniger ausgeprägtes Alkoholproblem, das seine Wildheit und Unbiegsamkeit unterstreicht (na gut, damit unterscheidet er sich nicht von anderen (sub-)kulturellen Klischeegestalten). Alles Neue hat der Querdenker schon tausendmal erlebt. Er weiß, wie es ist (und was er weiß, muss für alle gelten, denn er denkt ja objektiv quer) und müsste es nur mal allen sagen. Dass die Welt sein Genie verkennt und die ihm zustehende Aufmerksamkeit verwehrt, macht ihn gleichermaßen stolz wie verbittert. Wird über pragmatische Lösungen geredet, erklärt der Querdenker den jungen Frauen der Runde, wie er es früher gemacht hat und wie es grundsätzlich gemacht gehört. Der Querdenker ist gut vernetzt und ein einsamer Wolf und seine Vorbilder (Pirchner, Kaser & Grünmandl) können sich schon lange nicht mehr wehren. Einige Querdenker haben früher sicher wichtige Arbeit geleistet, manche tun es vielleicht sogar noch heute.
Das Problem ist eher, dass diese Querdenker-Kayfabe so dermaßen das Default ist, dass sie fast unsichtbar wird und es beim flüchtigen Drübersehen so aussieht, als wären diese Leute normal und spielten nicht ein Klischee nach ohne es zu wissen. Oder aber ist das Problem eigentlich, dass ich selbst halt einer anderen Kayfabe verpflichtet bin? Der Kayfabe des queeren Post-Meta-Post-Fritzen, der in aller Welt nur Drag sieht, ein So-tun-als-ob, selbst nur Intellektuellen-Drag betreibend und dadurch, dass er nichts ernst nimmt, alles erst richtig ernst nimmt – und so mit dem Bierernst des Querdenkers konfligiert? Von außen betrachtet ist diese Kayfabe gewiss so lächerlich und nervig wie alles andere!
Bob Dylan jedenfalls, auf den sich Figuren wie Courtney Barnett und Querdenker einigen können, ist interessanterweise selbst noch kein Querdenker geworden. Vielleicht hat ihn die Popstar-Kayfabe davor bewahrt, die allgemein (auch wenn es Gegenbeispiele wie Morrissey gibt) wenig geeignet scheint, den sie Spielenden zu entgleiten, sondern vielen ein intuitiv-bewusstes Tanzen und Coolsein zwischen den Rollen ermöglicht. Vielleicht müssten einfach alle Popstars werden.