Irgend etwas scheint schief zu laufen in der Kunst. Zwar ist nach einer jüngsten Studie der Arbeiterkammer Tirol und des Landes Tirol die Mehrheit der Bevölkerung gegen die Kürzung von Kultursubventionen und zwar mit einem sehr hohen Prozentsatz von 77 %. Und da fährt ein Blatt Papier mit einem Hasen im hochgesicherten Spezialtransport ultraprofessionell und hightechmässig gelagert, begleitet von Sicherheitseskorten und luftüberwacht im LKW Konvoi durch Europa, dass ein uneingeweihter Beobachter meinen könnte, es handle sich um George Bush, den Papst oder die Goldreserven von Ford Knox.
Auf der anderen Seite aber wird allerorten heftig versucht, Strategien zur Rechtfertigung von Kunst zu erfinden und ihre Daseinsberechtigung für allgemein gesellschaftliche Prozesse zu konstruieren. Man wird nicht müde den Output von Kunst für das marktwirtschaftliche System nutzbar zu machen. Die Kreativität als solche, die eigentliche Domain von Kunst schlechthin, soll gesellschaftlich brauchbar gemacht werden. Creative Industries heisst das Zauberwort und was passt besser zu einer wachstums- und innovationssüchtigen globalen Gesellschaft als Kreativität, wird ihr doch als Tugend unterstellt, ständig auf der Suche nach Neuem nicht auf dem Alten zu verharren, Innovation also im besten Sinn des Wortes zu sein. Und was liegt näher als diese Tugend endlich aus dem elitären Elfenbeinturm der ehrenwerten heiligen Museen herauszuholen und in den alltäglichen Kreislauf von Kosten- Nutzendenken einzuverleiben.
Allerdings, und das muss man ehrlicherweise zugeben, hat sich die Kunst über lange Zeit selbst in eine Art Isolation getrieben.
Öffentliche Räume sind potentiell auch Räume für die Entstehung und Vermittlung von zeitgenössischer Kunst und wenn man sie als solche sieht, stellt sich damit zwangsläufig auch die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz von zeitgenössischer Kunst. Gesellschaftliche Räume oder Lebensräume haben sich als soziale Umwelten gebildet und nicht von vornherein der Kunst wegen. Seit jeher mussten Künstler in diese Räume eindringen, sie sichtbar machen, umdeuten oder mit welcher Strategie auch immer für ihre Anliegen nutzen.
Erst spät in der Geschichte, eigentlich erst mit dem Einsetzen des Museumsbaus des Historismus im 19. Jhd. haben sich für die Entstehung und Präsentation zeitgenössischer Kunst laborähnliche, keimfreie Situationen herausgebildet. Stichwort: white cube: die weissen Wände von Museen und Galerien. Diese als von allen unmittelbaren sozialen und ökonomischen Verflechtung herausgenommenen und ausschliesslich der Präsentation und Rezeption von Kunst zugeordneten und damit hermetischen Räume haben die gesellschaftliche Relevanz von Kunst nur auf den ersten Blick verbessert.
In Wirklichkeit ist eine Entwicklung in Gang gekommen, die das System Kunst wenn man so will in seinen ausdifferenzierten Themenstellungen und in seinen Orten der Präsenz und Präsentation zunehmend in gesellschaftliche Isolation gedrängt hat. Kunst wurde zum System, das sich von der Rezeption jener abgekoppelt hat, die ausserhalb des Systems stehen: Kunst als Spezialdisziplin für Spezialisten. Das führte zwar einerseits zu einer noch nie da gewesenen Ausdifferenzierung und Aufwertung von Kunst innerhalb, gleichzeitig aber zu einer Abwertung ausserhalb des Systems.
Die einzige Schnittstelle nach aussen definiert sich lediglich über den Markt und so erscheint Kunst für die Gesellschaft nur mehr als Ware, als Konsumgut, unfähig ihre eigentlichen Inhalte zu transportienen.
Dieses Isolationsdilemma hat in der Folge dazu geführt, dasss sich Künstler und Künstlergruppen immer wieder genötigt sahen, die institutionellen Räume zu verlassen und nach wirksamen Mitteln zu suchen, die es ihnen ermöglichten sich und ihre Arbeit wieder in den gesellschaftlichen Kontext einzuspeisen. Zu fragen ist daher, wenn man überhaupt noch von einer gesellschaftlichen Relevanz ausgehen kann, welche Räume für Kunst heute geeignet sind.
Betrachtet man die heutigen gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse, so sind diese von Brüchen, Verschiebungen und Umwälzungen gekennzeichnet. Alte Ordnungen haben ihre Gültigkeit eingebüsst, politische, soziale und ökonomische Systeme formieren sich neu. Regionale und globale Systeme treffen direkt aufeinander. Traditionelle kulturelle Positionen werden mit globalen kulturellen Positionen durch den immer schneller werdenden Informations- und Warenaustausch in einer Weise konfrontiert, wie das noch nie zuvor der Fall war.
Schlagwörter wie Informationsgesellschaft, digitales Zeitalter und Globalisierung umschreiben die neue Utopie: On line sein, vernetzt mit der Welt heisst überall sein, Zugriff auf die Welt zu haben, zu jeder Zeit, an jedem Ort. Dabei steigt der Wunsch als Person ebenso mobil zu sein wie mit dem Curser im Netz.
Der Einzelne sieht sich gleichzeitig aber nach wie vor an seinen Ort und seine traditionellen gesellschaftlichen und sozialen Strukturen gebunden, während sich gesellschaftliche Veränderungen in einer Geschwindigkeit vollziehen, die sein Leben zwar massiv beeinflussen, er als Individuum aber nicht mehr beeinflussen kann. Diese insgesamte Entwicklung scheint jedenfalls zu einem gesellschaftlichen Unbehagen und zum Verschwinden von gesellschaftlichen Räumen im Sinne einer bekannten gesellschaftlichen Identität zu führen.
Ich stelle nun die Behauptung auf, dass zum derzeitigen Zeitpunkt zuerst die Frage nach gesellschaftlichen Räumen neu zu stellen ist und gültige gesellschaftliche Räume neu geortet und definiert werden müssen, bevor wir die Frage nach adäquaten zeitgenössischen Räumen für Kunst überhaupt stellen und beantworten können. Und genau hier sehe ich die Schnittstelle zwischen Gesellschaft und Kunst heute. Kunst als Disziplin der Wahrnehmung hat die Chance gesellschaftlich wieder relevant zu werden, indem sie selbstbestimmt in diese noch nicht definierten, sich im Umbruch befindlichen neuen gesellschaflichen Räume eindringt, sie sichtbar macht und bearbeitet. Es ist aber auch die Gesellschaft als Kunstöffentlichkeit gefordert, jene Vorstellung aufzugeben, die den Künstler ausschliesslich als Produzenten äestetischer Waren definiert.
Der Diskurs der creative industries ist nachvollziehbar, zumindest ist die gesellschaftliche Einforderung von künstlerischem Potential zum Benefit der Allgemeinheit verständlich. Problematisch wird es dort, wo der gesellschaftliche Mehrwert von Kunst sich ausschliesslich darüber definiert, inwieweit sich eine künstlerische Dienstleistung als Produkt für marktwirtschaftliche Interessen eignet. Und das ist zu befürchten, scheinen sich gesellschaftliche Räume, ja die Gesellschaft selbst zunehmend nur mehr marktwirtschaftlich zu definieren. Umsomehr wird es weiterhin ein Anliegen der Künstler bleiben müssen, sich in gesellschaftliche Prozesse einzuklinken und gesellschaftliche Räume zu reklamieren.
Die Frage ist letztlich nur, wer die Spielregeln bestimmt und in dieser Frage ist die Kunst mit Sicherheit am allermeisten gefordert.
Ulli Mair