Zack Zack Zack

Die ersten richtig heißen Tage dieses Jahres verbrachte ich in einer Messehalle auf der Prague Quadrennial of Performance Design and Space, einem internationalen Festival zu den genannten Themen, und wenn ich dort nicht gerade Performances rezipierte, schrieb ich gemäß meinem Auftrag mit, was so passierte. Mir gegenüber war eine Schreibmaschine positioniert, auf der Besucher*innen eingeladen waren, Feedback zu tippen. Eines davon bestand darin, das gesamte Festival, das ich als ungemein vielfältig und beglückend erlebt hatte, als langweiliges, selbstbezügliches Schmoren in der eigenen Echokammer zu bezeichnen, das niemand außerhalb der Kunst- und Performance-Blase erreicht. Zunächst fand ich diese Kritik nervig. Denn wie oft hatte ich dieses händeringende Relevanzbegehren schon gehört – als hätte Kunst schon jemals mehr erreicht als die, die sie halt erreicht. Später dachte ich doch darüber nach, ob das Festival vielleicht wirklich nur mir Small-Town-Boy, der ich nunmal bin, Neues bot und in Wahrheit nur Abgefrühstücktes verhandelte. Denn wie alle normalen Menschen denke auch ich mindestens ca. dreimal pro Sekunde, dass unter Umständen all mein Fühlen und Wirken auf diesem Planeten sinn- und wirkungslos, irrelevant und/oder verfehlt ist.

Bild 1Und generell nicht leicht fällt es, angesichts der Nachrichtenlage des Sommers 2019 – das uns weiterhin und notfalls ohne Deal verlassen wollende Mutterland des Pop (die Kolumne berichtete) steuert geradewegs ins Chaos, der Faschismus bahnt sich generell weltweit und hierzulande zack zack zack seinen Weg und in Grönland und Sibirien tauen Rekordmengen an Eis – nicht in eine zynische Haltung zu verfallen, derzufolge eh schon alles wurst ist. Dass diese, so sehr sie nachvollziehbar ist, halt niemand hilft, hat nicht nur Donna Haraway (die Kolumne berichtete) bereits gesagt. Doch wenn eine Game-Over-Haltung nichts bringt, ist es dann vielleicht ratsam, dorthin zu schauen, wo es was bringt? Etwa genau dahin, wo wir gerade sind, z.B. in unsere gemütliche Provinzstadt?

Denn in der guten Jahreszeit zieht es die Menschen hier naturgemäß nach draußen und dann trinken sie das Trendgetränk des Sommers, sehen sehr gut dabei aus (die Kolumne berichtete) und ein typischer Satz, der dann zu hören ist, könnte ungefähr so lauten: „Neulich habe ich im Leokino eine Werbung gesehen fürs Komplex-Magazin, oder war’s Unipress oder Provinzbruck, gibt’s das überhaupt noch? Also jedenfalls war da dann ein Hinweis auf ein Interview im Freirad mit einer, die war bei so einer Performance über Mermaids dabei, das war, glaube ich, so ein Vorbrenner-Projekt und da war heuer auch ein Act dabei, der das quasi als Sneak-Peak für seinen Auftritt beim Hurt of Noise, oder war’s beim Wetterleuchten, oder Moodlight, der da also was gemacht hat, und hinterher hat dann in der Bäckerei, oder war’s im Spieltraum, da hat einer von den Gurkos, oder war’s Columbus oder Verschubuntu oder Aktammarkt oder wie das heißt, der hat dann jedenfalls aufgelegt, das war so ein Stadt-Provinziale-Projekt und auf dem seinem Laptop war ein Sticker von der neuen Lesebühne, und bei denen liegen ja immer die Flyer vom Roller-Derby, das auf Freirad übertragen wird, und dann habe ich mir gedacht, ich müsste da mal ein TKI-open-Projekt einreichen, wie das alles so zusammenhängt und das würde ich dann im Leokino mit einem kurzen Spot bewerben, die sind gar nicht teuer.“

Bild 2Jetzt kann, wer so einen Satz hört (und wenn überhaupt wer, dann habe ja wohl vor allem ich selbst am häufigsten solche Sätze gesagt!), natürlich denken, dass die (wie es so schön heißt) Kulturszene in Innsbruck schon sehr, sehr, sehr eng und selbstbezogen oder etwas weniger freundlich ausgedrückt: provinziell ist. Dass sie niemand außerhalb der eigenen Echokammer erreicht. Ebensogut könnte sich unsere fiktive gesprächsteilnehmende Person aber auch denken: Ist doch klar, dass in einer Kleinstadt die Leute eng zusammenarbeiten und befreundet sind. Wie schön, dass sie augenscheinlich gut miteinander auskommen und einander gegenseitig pushen und so manchmal auch Größeres entsteht.

Oder sie könnte sich, wie ich gelegentlich, denken: In Wahrheit ist mir das alles wurst. Alles, was ich diesen Sommer will, ist doch die TV-Serie Pose oder die Fußball-WM in Frankreich schauen, Billie Eilish oder Miley Cyrus feat. RuPaul hören und Bücher von Bini Adamczak lesen. Und wenn nicht eh schon alles egal ist, ist es dann vielleicht entscheidend, alles, was wir tun, auch zu tun, damit sich Leute weiterhin all das und anderes denken und es tun können, genau dort, wo und wie wir und sie gerade sind?

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Martin Fritz