„Schon mancher Mensch hatte sich ..."

„Schon mancher Mensch hatte sich in dem postwissenschaftlichen Glauben,
daß alles mit allem zusammenhinge, sehr schnell total verzettelt...“

...steht im vor mittlerweile fast 20 Jahren (übrigens im Jahr der Uraufführung von Elfriede
Jelineks Sportstück) erschienenen und mein Denken, Fühlen und Handeln nachdrücklich
geprägt habende Roman Tomboy des Autors, Musikers und DJs Thomas Meinecke, der
unlängst im Rahmen des Innsbrucker Prosafestivals explizite House Music aus dem sexuell
anders denkenden Underground Chicagos auflegte. Hinterher sagte Meinecke zu uns
euphorisch getanzt Habenden einen Satz, der in seiner Schlichtheit ebenso in dieser
Situation total angemessen war, wie er sonst unmöglich peinlich wäre: „Was für eine
schöne Musik.“ Wir fühlten, was gemeint war.

Wenige Tage später dachte ich hingegen bei der Afterparty des ersten in Innsbruck
abgehaltenen Roller Derby Scrimmage (so heißen die Freundinnenschaftsspiele dieses
schönen Sports), wie wenig ich bei der dort gespielten Punkrock-Gitarrenmusik noch
fühlte, schämte mich für diesen Gedanken aber gleich, denn wie viele schöne Stunden
hatten mir doch Riot-Grrrl-Bands in den späten 1990ern bereitet. Wenn Kaia Wilson von
der Band Team Dresch die Vorzüge der diversen von ihr angeschmachteten Frauen
beschrieb, konnte das mein pubertäres Ich damals gut mitfühlen, während anderswo die
von mir jetzt als fortschrittlicher empfundene House Music auch längst schon wieder vorbei
gewesen war.

Eine Mischung von beidem (alte Rockmusik und politisch und sexuell anders denkend) ist
bekanntlich die Band Stereolab, deren Indie-Hit (eine Kategorie, die es längst nicht mehr
gibt) French Disco (fast 25 Jahre alt) in einer von Team-Dresch-Fan Dirk von Lowtzow
übersetzten Version bekanntlich im Soundtrack des Films Tschick zu hören ist, der auf
dem gleichnamigen Roman von Wolfgang Herrndorf basiert, dessen Antreten beim
Bachmannpreis 2004 (Rahmenprogramm-DJ 2017 dort: Thomas Meinecke) eine Ära an
treuen Klagenfurt-Besucher*innen mitbegründete, die neben dem Wettlesen ein
Wettschwimmen organisierten, in dessen Kategorie mit aufblasbaren Schwimmtieren ich
übrigens Rekordmeister bin. Allerdings fährt aus diesem Kreis nach dem Höhepunkt (Tex
Rubinowitz, der sich in den 1990ern im selben Internet-Forum wie Herrndorf und der
Kern der Schwimmtruppe herumtrieb, gewinnt 2014) kaum noch jemand hin. Es war
weniger so, dass nach zehn Jahren die Luft raus war wie aus Gitarrenmusik und lecken
Badetieren. Nein, es konnte einfach nicht mehr besser werden, also ließen wir es gut sein.

So stapelt sich also die Kette von Begebenheiten und Assoziationen auf, nur heißt das
zuerst einmal nicht mehr, als dass eben alt wird, wer sich an sowas erinnern kann. Auch
das ist nicht wirklich schlimm, solange eins nicht zu einer dieser traurigen Gestalten wird,
die bei jeder neuen relevanten Pop-Musik (wie Diedrich Diederichsen das 1996 so schön
sagte) nur denken, da höre sich doch alles gleich an. So verdanke ich z.B. dem über 60-
jährigen Thomas Meinecke die Entdeckung von Jlin, einer Musikerin aus den Outskirts
von Chicago, die die vielleicht spannendste Musik unserer Zeit produziert.

Genauso wie das Bachmannpreislesen fand auch seit Menschengedenken jedes Jahr im
Frühsommer das pmk-Straßenfest unter dem Motto „offen und herrlich“ statt, an das
wahrscheinlich alle ihre mehr oder weniger persönlichen Erinnerungen knüpfen. Sei es die
Jelinek-Lesung beim ersten Fest im Nobelpreis- und Herrndorf-Jahr 2004, das Ausnützen
der letzten Energie und Euphorie in den frühen Morgenstunden danach für den Aufstieg
zur Seegrube zum unmittelbar darauffolgenden Wetterleuchten-Festival, der Auftritt des
frischgebackenen Bachmannpreisträgers Rubinowitz mit seiner Band Mäuse (die vor
zwanzig Jahren mit Il Pullover einen veritablen Indie-Hit landeten), oder so viele tolle
Bands (Gustav!) und Begebenheiten (wer kennt keine beim pmk-Straßenfest gegründeten
Freund*innenschaften und Beziehungen) mehr – es war ein Fix- und Höhepunkt der guten
Jahreszeit.

Es war sogar eine so große Erfolgsgeschichte, dass angesichts der Zahl der zu erwartenden
Besucher*innen von den Behörden mit Fug und Recht Sicherheitsauflagen gestellt wurden,
die erstens finanziell bei freiem Eintritt nicht zu stemmen sind, und, was noch viel
wichtiger ist, bei den räumlichen Gegebenheiten vor der pmk den Charakter eines
Straßenfests nicht mehr zugelassen hätten – keine Liegestühle, keine Biertische, keine
Offenheit, dafür Absperrungen, Zäune und Securities überall. Wer solches möchte,
bekommt es eh bei jedem überfüllten und überteuerten Rock-Festival, dem seine
Besucher*innen wohl herzlich egal sind.

Da bin ich persönlich der pmk dankbar, zu sagen: Besser kann es nicht mehr werden, also
lassen wir es gut sein. Und so gibt es 2017 kein pmk-Straßenfest und ich bin schon
gespannt (wie stets auf neue relevante Pop-Musik), welche wertvollen Akte spontaner
Rebellion und Solidarität (wie es in French Disco so schön heißt) an seiner Stelle dereinst
entstehen werden. Oder wie es Dirk von Lowtzow vor fast zehn Jahren ausdrückte: Im
Blick zurück entstehen die Dinge, im Blick nach vorn entsteht das Glück.

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Martin Fritz