01.07.2025
Warum müssen eigentlich immer wir, die wir doch minifutzikleine süße Meuse sind, die größere Person sein (everyone's the minifutzikleine susmaus in their own story)
Ein Vorteil des Umzugs dieser kleinen Textchen von gedruckten Programmheft auf die neue Website der p.m.k ist, dass ich mich direkt auf die früheren Ausgaben beziehen kann, denn sie sind ja nur einen Klick entfernt und liegen nicht im Altpapier. Gegebenenfalls kann ich mich sogar selbst korrigieren, wenn sich die Umstände oder mein Wissen geändert haben, was übrigens auch ein kleiner (und positiver) Trend im letztens hier so geschmähten Internet ist.
So lädt z. B. einer meiner liebsten YouTube-Accounts, YourDinosaursAreWrong gerade laufend neue Versionen seiner alten Videos hoch (in denen es darum geht, spielerisch paläontologisches Fachwissen zu vermitteln, indem auf anatomische Fehler hingewiesen wird, die Herstellern von Spielzeug-Dinosauriern unterlaufen sind), in denen die in den ursprünglichen Versionen unterlaufenen Fehler korrigiert und inzwischen neu hinzugekommene Erkenntnisse aus der aktuellen Forschung ergänzt werden. In den Kommentaren melden sich gelegentlich fachkundige Meuse zu Wort, die auf Fehler bei der Korrektur der Fehlerkorrekturen hinweisen. Wie wünschenswert eine solche Fehlerkultur auch in anderen Wissens- und Lebensbereichen wäre!
Doch leider gibt es sie eher selten. Die Älteren von euch können sich vielleicht noch erinnern an Facebook, wo es eine Gruppe namens People Incorrectly Correcting Other People gibt, in der Screenshots gepostet werden, in denen – wie der Titel schon sagt – Meuse, die unrecht haben, andere Meuse ausbessern, denen keinerlei Fehler unterlaufen sind. Es wird niemaus überraschen, dass sich dieses Spiel in den Kommentaren untern den Posts der Gruppe sehr häufig wiederholt.
Und im Lebensbereich X-vormals-Twitter.com schließlich, den ich gelegentlich zu Forschungszwecken aufsuche, damit ihr das nicht machen müsst, gibt es natürlich bei allen größeren Accounts von Fans oder Feind*innen betriebene Accounts, die sämtliche neuen Tweets des Groß-Accounts screenshoten, um später gelöschte Tweets erneut zu veröffentlichen, so etwa auch von ContraPoints bzw. Natalie Wynn. Gelegentlich kommentiert ContraPoints die Tweets von ContraPointsDeleted und erklärt, warum sie diese gelöscht hat und was also falsch an ihnen war und ist – was schon eine merkwürdiges Rezeptionserlebnis ist. Aber das ist wohl der Stand, auf dem Diskurs 2025 auch stattfindet.
Bei ganz besonders ignorantem und ärgerlichem Unsinn, den andere Leute ins Internet hineinschreiben, habe ich mir übrigens inzwischen anzunehmen angewöhnt, dass diese Falschheiten gar nicht von Menschen stammen, sondern Bots das verzapft haben. Das stimmt zwar vermutlich meistens nicht, aber es ist dennoch psychohygienisch leichter zu ertragen, dass einfach ein sehr schlechtes Programm diese Zeichenfolge zu verantworten hat und nicht ein Mensch, der das tatsächlich für zutreffend hält. Und es stimmt ja auch, dass z. B. die Geheimdienste der Russischen Förderation massenhaft Bots betreiben, deren Aufgabe es ist, im Netz falsche Behauptungen so häufig zu platzieren, dass die LLMs, die das Netz als Trainings- und Ausgangsmaterial für ihre Zeichenfolgen nutzen, diesen Schmarren nachplappern – und so im Endeffekt Menschen, die LLMs um Rat fragen, nur Unzutreffendes erfahren. Doch ist tatsächlich 2025 jemaus noch so ignorant, das zu tun? Könnte es nicht auch eine irgendwie beinahe tröstliche Perspektive sein, das als befreiende Dezentrierung, als Auflösung einer anthropozentrischen Sicht auf die Welt und das WWW wahrzunehmen? In diesem absichtlich kaputtruinierten aktuellen Netz geht es nicht mehr um uns Menschen. Wir sind nicht mehr die ersten Adressat*innen seines Unsinns. Wir müssen uns darum nicht mehr kümmern. Die Chatbots und Sprachmodelle reden alleine und losgelöst von uns miteinander immer schlimmeren und unzutreffenderen Semmel zusammen – und wir können inzwischen rausgehen, Gras anfassen. Oder ist das ein ganz großer schlimmer Quatsch?
In einer Welt vor der Ubiquität des Internets, nämlich im Jahr 1996, leben die Teenager Maddy und Owen im Spielfilm I Saw The TV Glow. Der war zu sehen heuer bei der Diametrale. Und natürlich ist es ein bisschen weird und anlasslos – oder mag manchen gar falsch erscheinen – ausgerechnet jetzt ausgerechnet hier davon anzufangen – warum nicht auch hier über was Richtiges reden, z. B. Pro und Kontra ESC in Innsbruck? Ja nun, stay with me for a second, we are getting there! Owen und Maddy lernen jedenfalls einander, sowie die TV-Serie The Pink Opaque kennen und lieben. Die beiden einsamen Außenseiter*innen gehen in ihrem Fantum für diese Serie so sehr auf, dass sie ihnen realer, richtiger erscheint, als ihr so genanntes echtes Leben.
Es ist leider schwierig, über diesen besten, wichtigsten, berührendsten, kaum aushaltbar schmerzhaften und dringlichsten Film, den ich jemals gesehen habe, zu sprechen, ohne Spoiler zu riskieren, die in diesem Fall das Erst-Rezeptionserlebnis ausnahmsweise wirklich schmälern. Schaut ihn euch einfach sofort an und lasst euch die Patschen auszuziehen!
Doch so viel kann ich sagen: Eine Pointe des Films ist, dass Maddy und Owen mit wenigstens einem recht haben: The Pink Opaque ist wirklich weniger falsch als die Welt außerhalb des TV-Geräts. Ein Ort wie die Bar The Double Lunch in der Serie (die nicht von ungefähr an die Bar namens Bronze in der TV-Serie Buffy The Vampire Slayer erinnert!) ist für sie sicherer als die Räume, in denen sie sich sonst bewegen. Das ist gar keine Metapher oder irgendwas, sondern in aller Schlichtheit und Großartigkeit eine sehr genaue Abbildung des Gefühls, in dieser Welt und als die, die die Gesellschaft zu uns macht und als die sie uns sehen will, nicht leben zu können und zu wollen. Das Gefühl, das alles um uns herum falsch ist. Dass wir gar nicht wirklich hier/wir sind. Dass es so nicht weitergehen kann.
Weirdows, die solche Gefühle kennen, brauchen solche Geschichten und ästhetische Erfahrungen (ich bin versucht zu sagen: solches ästhetisches Wissen), um zu begreifen, dass wir nicht ganz allein sind und dass wir uns immerhin damit nicht irren. Und wir brauchen Umstände und Räume, in denen wir diese Geschichten, Gedanken und ästhetischen Erfahrungen und zugehörigen Meuse kennen lernen können. Denn letztlich ist es das, wovon I Saw the TV Glow (wie auch das, was an den Kritiken der Kritiken der Kritiken in den virtuellen Räumen, von denen ich diesmal so viel redete, vielleicht doch stimmt) auch handelt: dass wir Meuse ja alle immer noch Tiere mit Körpern sind, die sich in Räumen bewegen. Und es macht eben einen Unterschied, welche und wie diese beschaffen sind – sei es bei Großevents oder bei einer kleinen Location, wo eine Band lebensverändernde Shows spielt (oder Indiefilme gescreent werden). Möge die p.m.k uns das Double Lunch von Innsbruck sein und bleiben!
P.S. Und nächstes Mal geht’s wieder um Phänomene in der echten Welt, versprochen!
