08.09.2025
Komm auf meinen Stern!
von Martin Fritz
Dietmar Dath hat neulich einen annäherend 1.000-seitigen Roman veröffentlicht. „What else is new“, fragen jetzt diejenigen, die wissen, dass Dath so eine Art deutsche Ursula K. LeGuin ist, also der beste (aka einzige) unter den auf deutsch schreibenden kommunistischen Science-Fiction-Autor*innen, was jedes Jahr so zwei bis 20 Schwarten jenseits der 1K Pages raushaut (diese Editorial-Kolumne berichtete).
Wie Maus das 2025 eben so macht, habe ich – statt das Buch zu lesen – naturgemäß erstmal sämtliche Videos weggebingt, die im Netz zu finden waren, in denen Dath stundenlang erklärt, was er sich den lieben langen Tag so denkt mit seinem hübschen Kopf in seiner hübschen Jeans-Weste. So kam ich auf einen Vortrag, in dem Dath einen Punkt illustriert mit dem Spielfilm Im Staub der Sterne, den die Künstlerische Arbeitsgruppe futurum produzierte und der im Jahr 1976 davon erzählte, wie in der damaligen Zukunft eine augenscheinlich mindestens sozialistische Raumschiff-Crew einem Notruf auf einen fernen Planeten folgt. Das Problem ist zunächst, dass es dort zuerst anscheinend kein Problem gibt, worüber die Kosmonaut*innen stundenlang labern (was sie – lowkey Spoiler Alert – auch weiterhin tun, nachdem sie festgestellt haben, worin hier das Problem liegt).
Angesichts dieses Meister*innen-Werks der Science-Fiction-Kunst hatte ich (wieder einmal) folgende Epiphanie: Nachdem der Kapitalismus es offensichtlich nicht schafft, eine anständige Raumfahrt zu Wege zu bringen, wird nach Ausschlussprinzip rein logisch betrachtet – falls es denn überhaupt gelingt – der erste nicht-fiktive Flug menschlicher Tiere zu anderen Welten mit absoluter Sicherheit im Fully Automated Luxury Queer Space Communism statt finden. Was für eine traumhafte Vorstellung, zu den Himmelkörpern zu brausen in einer Gesellschaft, in der die wesentlichen Probleme bereits gelöst sind.
Auf den interplanetaren und insterstellaren Spaceships müssen die Meuse also nicht mehr arbeiten, denn es gibt dort alles im Überfluss. Und ich habe es bereits gesagt und werde es wieder sagen: Menschen sind dafür geschaffen die ganze Nacht zu exzellenter Pop-Musik zu tanzen und zu labern und dabei ein bisschen zu flirten und zu crushen und Roller Derby zu spielen oder dabei zuzusehen und genau das wird dort geschehen. Und was dann noch fehlt, ist allein: Sonne, Ozean, Flüsse, Seen und dafür fliegen wir dann ja wohin, wo es all das gibt. Und um Missverständnissen vorzubeugen: Niemaus hat gesagt, dass es in der besitz- und klassenlosen Gesellschaft keine Probleme mehr geben wird, aber es werden eben bessere, interessantere Probleme sein.
Natürlich wird es weiterhin Stories old as time geben, z. B.: „Sie will sie, aber sie will sie nicht“; doch wenn wir in einer Gesellschaft leben, die uns nicht mehr ständig vermittelt, falsch, zu wenig, ungenügend zu sein, sondern in der wir aufgehoben sind, und in der wir nicht andere (und anderes) brauchen, um zu kompensieren, was uns selbst fehlt, fühlt sich auch diese Story anders an als jetzt (und ohne Besitz sind viele erfundene Quatschhindernisse und Probleme der in kapitalistischen Welten spielenden Romances sowieso gegenstandslos).
Doch dass es anderen (also z. B. uns jetzt) noch schlechter geht, ist zum Glück immer (und also auch dann im All) ein schwacher Trost, deshalb wird es auf den Spaceships weiterhin diese Stories und Feels geben, nur eben besser, freier – und den daraus resultierenden Drive, noch Bessere aus uns zu machen, und davon zu erzählen.
Ich persönlich freu mich also schon auf die im Weltall erklingen werdenden noch besseren Torch Songs (ein Thema für sich, dem mal eine eigene Kolumne gewidmet werden wird), die ja genau das machen werden, die genau diese noch besseren Geschichten erzählen werden. Und das noch bessere Gegenstück zum Torch Song ist bekanntlich der Crush Song (die allerbesten Songs, die wir jetzt schon haben, sind naturgemäß beides in einem). Crush Songs behandeln dieses beste Feel ever: wenn Maus wen vor zwei oder 20 Minuten beim Karaoke bei der Afterparty des Roller Derby World Cup (dieser Glimpse in eine mögliche Zukunft, in der wir leben wollen würden ist auch ein Thema für sich, dem mal eine eigene Kolumne gewidmet werden sollte) oder eines anderen Open-Air-Events oder vor zwei oder 20 Tagen oder Monaten oder Jahren oder Jahrzehnten kennen gelernt hat und Maus diese Person anschaut und weiß, was gleichzeitig völliger Quatsch und der Sinn des Lebens ist: „Before you came into my life / I missed you so bad.“ Und sich wünscht: Komm auf meinen Stern!
Und vielleicht gibt es sogar zwei oder 20 Meuse, die diese Kolumne so genau lesen, dass sie sich sogar erinnern, dass ich letztes Mal angekündigt habe, endlich wieder über Phänomene IRL und AFK zu schreiben und die sogar verstehen, dass ich das eventuell sogar die ganze Zeit schon getan habe.
Euch und allen anderen wünsche ich, gerade jetzt, wo sie in Bedrängnis geraten, dass Euch Orte wie die p.m.k Raumschiffe auf Erden sind, wo ihr heute schon Zukünfte erleben könnt, von denen die Künstlerische Arbeitsgruppe futurum noch nichtmal träumen konnte. Crusht gut ins neue Semester, die neue Saison, das neue Leben und vor allem: Have Fun!
