2010 wird alles gut oder was spricht eigentlich dagegen,
dass wir uns wieder einmal über Kunst aufregen...
Ich kann mich noch gut erinnern, wie sich einst die Gemüter erhitzten, als es um die Freiheit der Kunst ging. Ausgiebig wurden von allen möglichen Seiten Argumente ins Treffen geführt, schliesslich ging es um verfassungsrechtlich geschützte Güter die sich da gegenseitig ins Gehege kamen. Um Grundrechte also, und das ging offenbar damals noch jeden was an. Auf breiter Ebene wurde abgewogen, inwieweit das eine Grundrecht das andere beeinträchtigen würde, welches der betroffenen Grundrechte als höherstehend zu werten sei oder wo die Kunst dann doch zu weit gegangen wäre... Juristisch tatsächlich ausgesprochenen Verboten haftete immer das Schreckensgespenst Zensur an, und davor hatte man damals noch Respekt. Derartige Fälle wurden landauf landab in sämtlichen Medien abgehandelt, die Leute echauffierten sich monatelang allerorten. Die Debatte zog sich dabei durch sämtliche Bevölkerungsschichten: im sogenannten Bildungsbürgertum wurde darüber bei künstlerischen Abendessen ebenso gepflegt diskutiert wie am Stammtisch in der hintersten Kneipe in derselben Sache abschliessende Meinungen zum Thema meist lautstark zementiert wurden.
Egal ob man sich darüber aufregte, das Ganze als Geschmacksfrage abtat, das Kunstwerk verteidigte, oder gar die Meinung vertrat, dass die Freiheit der Kunst über allen anderen Freiheiten stünde, und sie daher machen dürfe was sie wolle, ob man sich auf einen philosophischen oder rechtstheoretischen Standpunkt verlegte oder die Kunst schlichtweg als Produkt von arbeitsscheuen Schmierfinken verteufelte: Kunst hatte allemal das Zeug zum Aufreger, oder anders gesagt, sie konnte noch handfeste Skandale hervorrufen. Weltbilder prallten da aufeinander, die Gesellschaft teilte sich in bedingungslose Befürwortung und abgrundtiefe Ablehnung, dazwischen spannte sich das weite Feld vielfältiger, dem Thema mehr oder weniger dienlicher Aspekte und Anschauungen. Kaum jemand blieb jedenfalls gänzlich unberührt. Nicht selten machte sich der ein oder andere Künstler diese Tatsache zu Nutze, um sich wieder in die Schlagzeilen oder zumindest ins Gespräch zu bringen. Und das funktionierte auch, handelte es sich dabei doch um eine Causa öffentlichen Interesses, wo sich jeder berufen fühlte, seinen Senf abzugeben. Zugegebermassen regte mich das damals nicht selten masslos auf, natürlich nicht der Skandal als künstlerisches Marketinginstrument, sondern der uninformierte Senf...
Und heute?
Wenn heute ein Künstler, wie unlängst in Rom geschehen, im Rahmen einer Ausstellung eine banale Verwaltungsvorschrift übertritt und nicht etwa verfassungrechtlich geschützte Grundrechte in Frage stellt, scheint das scheinbar schon auszureichen, dass dieser Künstler verhaftet und die gesamte Ausstellung gleich unwiderruflich geschlossen wird. Es scheint aber offenbar nicht mehr dafür auszureichen, dass sich irgend jemand hierzulande ernsthaft darüber aufregt. Dabei handelte es sich immerhin um eine österreichische hoch prominent besetzte Ausstellung, und auch beim Künstler handelt es nicht um irgendwen, sondern um Flatz, einen Künstler, der Österreich immerhin bereits auf der Documeta vertreten hat. Ich traue mich zu wetten, wäre dieser Vorfall noch vor zehn Jahren passiert, es wäre ein Aufschrei durch die Nation gegangen. Indessen scheinen derlei Vorkommnisse heutzutage weder Medien geschweige denn die Bevölkerung etwas anzugehen. Vermutlich fiele auch eine Umfrage, welche Künstler Österreich bei der Documenta die letzten Male vertreten haben vernichtend aus.
Wie auch immer, während nun Flatz in Rom verhaftet und die gesamte österreichische Ausstellung mehr oder weniger sang- und klanglos geschlossen wurde, hatte die Kulturwelt jedenfalls zeitgleich eine ganz andere, wenngleich auch römische Schlagzeile: genau am selben Tag nämlich wurde Silvio Berlusconi von der italienischen Ausgabe des Musik-Magazins „Rolling Stone“ zum Rockstar des Jahres 2009 ernannt. In der Begründung dazu hiess es, dass der 73-jährige mit seinem Faible für schöne Frauen und mit seinem Lebensstil die Redaktion überzeugen konnte... „Rod Stewart, Brian Jones, Keith Richards sind nur Dreck im Vergleich zum Cavaliere“, hiess es zur Begründung in dem vorveröffentlichten Leitartikel der Dezemberausgabe. Und auch das Anwesen „Neverland“ des kürzlich gestorbenen „King of Pop“ Michael Jackson könne mit der sardischen Luxusvilla „Certosa“ des Italieners nicht mithalten..Ein neues Jahr steht vor der Tür. Selten war ich so froh, ein altes endlich hinter uns gebracht zu haben. Und was spricht eigentlich dagegen, dass zur Abwechslung wieder einmal alles gut wird? Ja... 2010 wird alles gut! Wir hören auf zu jammern und regen uns nie wieder über irgendwelchen Kram wie ... nein, halt jetzt wäre ich um ein Haar in die Falle getappt... 2010 wird alles gut, hab ich grad gesagt, und dazu gehört auch, dass wir uns über ein paar unsägliche Wörter, die das alte Jahr betreffen ein für allemal ein generelles Aussprechverbot verhängen. Das gilt auch für die Zahl, die dieses alte Jahr bezeichnet ...
Was spricht eigentlich dagegen, dass wir uns wieder einmal über Kunst aufregen?
Und alles dafür tun, dass Kunst wieder zum richtigen Aufreger wird? Vielleicht gelingt uns das ja, wenn wir nur fest daran glauben und natürlich fest daran arbeiten. Und damit uns das auch wirklich gelingt, und wir nicht bei der erstbesten Gelegenheit den Mut verlieren gebe ich uns für 2010 ein Motto mit. In Abwandlung des wunderbaren Zitates von Herbert Achternbusch: „Diese Gegend hat mich kaputt gemacht und ich bleibe so lang, bis man es ihr anmerkt”, soll unser Motto für 2010 lauten:
DIESE GEGEND WIRD UNS NICHT KAPUTT MACHEN UND WIR WERDEN SO LANGE BLEIBEN, BIS MAN ES IHR ANMERKT.
Hört sich doch gut an, und Herbert Achternbusch ist einer, der es wissen muss, hat er doch dazumal selbst mit seiner Kunst für ziemliche Aufregung gesorgt...
In diesem Sinne wünsch ich uns allen ein tolles 2010.
Ulli Mair
Ps: und nicht vergessen, das Aussprechverbot einhalten, sonst wird das nichts mit dem alles wird gut...