Art and the city

Noch ganz beseelt vom diesjährigen Heart of Noise Fetsival, lasse ich mir die drei Festivaltage immer wieder gerne Revue passieren. Es freut mich, dass dieses klein aber dafür umso feiner programmierte Festival, abseits von Mainstream und Festivalmania sich inzwischen so weit etablieren konnte, dass es in Hinkunft fixer Bestandteil des Innsbrucker Sommers sein wird. Was mich heuer neben den grossartigen Konzerten am meisten begeisterte, war der Umstand, dass diese Konzerte an den unterschiedlichsten Orten quer durch die ganze Stadt verteilt stattfanden und somit die gesamte Stadt als Festiavalort vereinnahmten. Besonders gerne denke ich dabei an die Konzerte in der Stadtstube, wo sich Heart of Noise unmittelbar in den urbanen Alltag einspeiste und wo sich Festivalbesucher auf das angenehmste mit Stadtteilfestbesuchern, Touristen und Passanten mischten. Selten so eine entspannte und angenehme Atmosphäre in Innsbruck und das noch dazu gekrönt mit hochkarätigem Sound. So, würde ich mir wünschen, könnte es öfter sein.

Ich mag solche Projekte, die sich gemäss ihrer Konzeption unmittelbar in den innerstädtischen Alltag einspeisen, indem sie sich an sich kunstfremde Orte aneignen und damit den öffentlichen Stadt-Raum als öffentlichen Kunst-Raum umdefinieren. Gerne erinnere ich mich in diesem Zusammenhang auch das Projekt Playground, mobile Raum(un)ordnung, welches das ehemals legendäre Geschäftslokal des Modehauses Schirmer in der Maria-Theresien- Strasse als Konzertraum, Ausstellungsort und Homebase eine Woche lang gewissermassen zweckentfremdete. Durch einen einfachen poetischen Eingriff wurde das ehemalige traditionsreiche Haus der Mode kurzerhand zum Haus der Moderne und somit zum temporären Kunst-Ort mitten in der Stadt, von wo aus Aut.ark sein Projekt in die Stadt ausschwärmen liess. Playground verstand sich damals als künstlerische Intervention im urbanen Umfeld, wobei Aneignung, Vereinnahmung, dessen Veränderung und dadurch dessen temporäre Um- bzw. Neugestaltung im Mittelpunkt standen.

Wie aber vereinnahmt, verändert man urbanes Umfeld, wie kann man es um- gar neugestalten wenn dieses Ansinnen bloss ein künstlerisches und noch dazu nur ein temporäres ist?
Nun:
Städte bestehen zunächst einmal aus Stein, aus Eisen, aus Glas, aus Beton, aus privaten Häusern und öffentlichen Gebäuden, aus Kirchen und Schlössern, aus Plätzen und Parks, Strassen und Wegen. Stadt besteht auch aus Überlagerungen ganz unterschiedlicher Systeme, deren Vernetzungsziel ganz allgemein als Teilhabe, als „polis“ oder als Kommunikation begreifbar ist, denken wir dabei an die unterschiedlichen regulierenden, leitenden sowie ordnenden Systeme wie Kanal- oder Stromnetze, Strassenschilder, Ampeln oder z.B. Verwaltungsvorschriften. Urbane Umwelten sind dabei nie nur materiell sondern zugleich immer auch immateriell, Stadt ist nicht nur ein durch entsprechende Codes endgültig definierter mehr oder weniger benutzerfreundlicher Raum für Stadtbenutzer, Stadt ist immer auch Wahrnehmungsraum, Hörraum und Gestaltungsraum, der allerdings, sich stetig verändernd, auch stets neue Gestaltungstaktiken erfordert. Das gilt für künstlerische Taktiken im Übrigen ebenso wie für architktonische, wirtschaftliche, politische oder private.
An dieser Stelle möchte ich Thomas Feuerstein zitieren, der sich sehr ausgiebig in einem Aufsatz mit dem Titel ORT und ALIBI – der Künstler als Translokateur – im Rahmen des Projekts "Translokation – der ver-rückte Ort – Kunst zwischen Architektur" sehr ausgiebig mit nomadischen künstlerischen Praxen auseinander setzt. Der Aufsatz ist zwar aus 1994 und damit bereits 18 Jahre alt, hat aber nichts von seiner Gültigkeit eingebüsst und steckt für mich eine mögliche Klammer ab, in der Projekte angesiedelt sind, die sich den öffentlichen urbanen Raum strategisch als Kunst-Raum aneignen.

“Einen Ort an einem anderen Ort erscheinen zu lassen, ist anthropologisch gesehen auch aller Anfang von Kunst. Ihn vor dem Vergessen retten und ihn in einen anderen Ort einschreiben, einen Nicht-Ort an einem realen Ort aufzeigen oder einen Ort als Ort bewusst machen, sind alte Motive der Kunst. Vorstellungen an einem konkreten Ort zur Darstellung zu bringen, eine Verbindung zwischen der realen und der symbolischen Welt herzustellen und eine Logik der Metapher zu gründen, lag seit Anbeginn im Interesse von Kunst. Im 19. und 20. Jahrhundert begann Kunst die eigene Topographie zum Ort ihrer Produktionen zu machen, was allgemein mit wachsendem Autonomieanspruch der Kunst beschrieben wird. Diese Reflexionsleistung von Kunst wartet nun auf ihre theoretische wie praktische Elaboration um ein Crosssing-over der verschiedenen sozialen Bereiche herbeizuführen und neue Arten von Öffentlichkeiten zu erschliessen - Öffentlichkeiten, die durch fliessende Kombination der dargestellten Bedeutungen neuen Bedeutungen Platz einräumen. Die Verbindungen, die Kunst zwischen den realen und den symbolischen Orten in einer Gesellschaft erstellen und umstellen kann, ist heute, wo eine stetige Verschiebung der Denotationen in den Bereich der Konnotationen betrieben wird, von brisanter Aktualität. Die symbolische Funktion liegt dabei nicht im Verweischarakter auf eine Realität im Sinne des philosophischen Ontologiebegriffes, sondern in der Bearbeitung sozialer Strukturgefüge, um über ihre Symbolisierungen die realen Gegebenheiten und Dispositive offenzulegen. Kunst kann nicht mehr der privelegierte Ort des guten Geschmacks und der Schönheit sein. Sie kann aber die starre Koppelung gewisser Orte an bestimmte Eigenschaften aufbrechen und zum Ort eines Crossing-over der kulturellen Codes werden. Erst in dieser Offenheit von Kombination und Rekombination von Codes kann es zur Einnahme einer Deregulations- und Korrektivfunktion von Kunst in gesellschaftlichen Systemen kommen...“
Die beiden Begriffe Kombination und Rekombination führen mich an einen anderen Ort in Innsbruck, der heuer im Sommer zum künstlerischen Ort des Geschehens werden wird: das Areal rund um das ehemalige Riesenrundgemälde. Mit seiner Arbeit de-decode de-recode-re-decode re-recode an der alten Hungeburgbahnbrücke führt Christoph Hinterhuber bereits seit ein paar Jahren eindruckvoll vor, wie Stadt zum Code wird, der sich selbst prozessiert und sich evolutiv immer wieder neu überschreibt.
Geradezu nahtlos schreibt sich diese Arbeit von Christoph Hinterhuber in das vorgegebene Setting ein und absorbiert zunächst einmal dessen bisherige Bedeutung. Indem er so grundsätzliche Themen wie Urbanität, Stadtentwicklung Funktionswandel oder noch grunsätzlichere Themen wie beispielsweise das Spannungsverhältnis von alt und neu, von innovativ oder obsolet aufgreift führt er neue Reflexionsebenen ein, die Stadt als variablen Organismus direkt erfahrbar machen.
Christoph Hinterhuber wird in nächster Zukunft mit einer weiteren Installation, diesmal direkt an der Rotunde des ehemaligen Riesenrundgemädes präsent sein. Mehr möchte ich dazu noch nicht verraten. In der letzten Juliwoche wird jedenfalls das Projekt Playground in anderer Form am Areal rund um die Rotunde und der Hungerburgtalstation gewissermassen seine Fortsetzung finden. Noch bevor das Areal seiner endgültigen Bestimmung zugeführt wird (bekanntermassen soll dort noch heuer ein Büro eingerichtet werden, wo die Bevölkerung ihre Vorschläge zur zukünftigen Nutzung des Geländes deponieren kann) wird Aut.ark mit seinem diesjährigen Projekt „Rotate“ wieder einen prominenten markanten Ort in der Stadt als temporären zeitgenössischen Konzert- und Ausstellungsraum ein Woche lang bespielen. Mittels audio-visueller Musik und Kunst in Form von temporären räumlichen Interventionen wird das Areal auf sein Stör- und Umnutzungspotenzial überprüft und als Gesamtes zum quasi-skulpturalen Objekt umfunktioniert. Ein „Unort im Sinne von einem dysfunktionalen Freiraum“ wird dabei, zumindest für kurze Zeit zu einem dynamischen, in Transition oder besser in Bewegung befindlichen Ort gewandelt. Die Rotunde wird in Rotation, oder besser in Rotation versetzt, so das Konzept.
Man kann sich also jetzt schon auf einen kunstsinnigen Sommer freuen. Und dass dies auch hinkünftig so weitergehen könnte, dafür sorgt möglicherweise das Arbeitsübereinkommen der neuen Stadtregierung. Nicht nur, dass das Budget der Stadtpotenziale auf 100.000.- Euro jährlich aufgestockt wurde. Kunst und Kultur erfährt insgesamt - zumindest als Absichtserklärung - eine so bislang noch nie formulierte Aufwertung. Diese höchst erfreuliche Tatsache werte ich im übrigen nicht zuletzt als einen sichtbaren Erfolg der jahrelangen konstruktiven Arbeit der baettlegroup for art, die sich die Aufwertung und Sichtbarmachung der freien Szenen in Innsbruck zum Ziel gesetzt und die Verwirklichung dieses Ziels konsequent und letztlich zielführend, wie man sieht, verfolgt hat.
Und ganz zu guter letzt möchte ich euch alle natürlich herzlich zu unserem diesjärigen p.m.k Strassenfest am 13. Juli einladen. Dieses Highlight solltet und werdet ihr euch ohnehin nicht entgehen lassen. Wir sperren wieder die Strasse und feiern, so die Wettergötter toi toi toi, dreimal auf Holz geklopft, auch diesmal wieder mitspielen, den Sommer, uns und euch und die Wiedereröffnung der neu umbebauten p.m.k. See you!
So, jetzt bleibt mir eigentlich nur noch, euch allen einen tollen Sommer zu wünschen, wo immer er euch hintreibt und wer dableibt, kann sich getrost auf spannende Kunstprojekte in der Stadt freuen.

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Ulli Mair