Das letzte Aufgebot

Das Zeitgenössische hat es wahrlich nicht leicht in unserem Land. Während in anderen Bundesländern (von der übrigen Welt ganz zu schweigen) Kunsthäuser, OffSpaces, Klangwolken oder zeitgenössische Festivals wie etwa das Donaufestival Krems oder ein Ars Electronica Festival nur so aus dem Boden spriessen (höchst dotiert im Übrigen) und die Bevölkerung allerorten für ein spannendes experimentelles kulturelles Erleben begeistert wird, herrscht hierzulande Trostlosigkeit. Nicht nur, dass es keinerlei Anzeichen dafür gibt, dass etwas geändert werden sollte, geschweige denn von Seiten der öffentlichen Hand die Verwirklichung von kulturellen Visionen aktiv in die Hand genommen würde, nein selbst bestehende Kultureinrichtungen, die ohnedies seit jeher mit einem finanziellen Minimum auskommen mussten und deren Etat seit Jahren nicht einmal, wie z.B. in Vorarlberg selbstverständlich, an den Index angepasst wurde (de facto also laufende Kürzungen) stehen jetzt anscheinend noch zusätzlich empfindliche Subventionskürzungen ins Haus.

„Wirschaftskrise“ heisst es dazu lakonisch. Wenn man gleichzeitig allerdings beobachtet dass es dann wieder „wie in besseren Zeiten“ Geld im Übermass für Projekte wie ein Bergiselmuseum gibt und auch der Landesfestumzug nicht gerade nichts gekostet hat, dass es also weniger am Geld als an einer Schwerpunktsetzung liegen muss, dann könnte einen leicht das Gefühl beschleichen, dass es sich hier weniger um eine Wirtschaftskrise sondern vielmehr um eine Wahrnehmungskrise zeitgenössischer Bedürfnisse handelt. Auch das Argument, das immer wieder ins Treffen geführt wird, dass Innsbruck eben nicht Linz, Graz, Wien oder Zürich sei lässt sich sofort entkräften. Nehmen wir zum Beispiel Krems in Niederösterreich. Nicht nur dass es dort eine Kunsthalle, ein Karrikatur Museum, eine Kunstmeile, eine Factory, ein finanziell und räumlich äusserst gut ausgestattetes Artist in Residence Programm und was sonst noch alles gibt, Krems leistet sich jedes Frühjahr auch das mittlerweile bereits legendäre Donaufestival mit den angesagtesten Künstlern aus aller Welt und stattet es für zwei Wochen mit satten 1,6 Millionen Euro aus. Das sind Summen mit denen man arbeiten und Bewusstsein schaffen kann. Bereits im Herbst am ersten Oktoberwochenende schon ein weiteres ebenso hochkarätig besetztes wie dotiertes Musikfestival: Kontraste.

Und das in einer Stadt mit gerade einmal knapp 24.000 Einwohnern, ganz abgesehen vom zeitkulturellen Geschehen z.B. in Bregenz mit seinen ca. 27.000 Einwohnern... Linz, Graz oder Wien mit seinen spezifischen zeitgenössischen Kulturangeboten möchte ich hier gar nicht anführen, aber woher soll er es denn wissen, der gstandene Tiroler, wenn er doch meist nur über die Unrechtsgrenze zum Törggelen oder an seinen geliebten Gardasee zu reisen pflegt...? Woher also, das muss man sich leider ernsthaft fragen, woher soll in Tirol zeitgenössisches Bewusstsein herkommen, wie soll sich eine zeitgenössische Nachfrage generieren, wenn man hier noch im 21. Jahrhundert schon die Kleinsten in Trachtenuniformen steckt, sie mit Heu- und Mistgabeln oder mit Blumensträussen in Tierhörnern ausstattet, sie so zu Tausenden durch die Stadt marschieren lässt und ihnen das noch als Zukunft verkauft?

Wie sollen die Kinder oder um es mit der Politik zu sagen „unsere Jugend“ jemals auf die Idee kommen, sich mit Fragen der Zeit kritisch auseinanderzusetzen oder sich gar für zeitgenösschische Kunst und Kultur zu interessieren? Immerhin reicht es hierzulande ja schon aus, ein politisch nicht unheikles Symbol mit 2009 Rosen zu schmücken, um als Kunst durchzugehen. Solcherlei fatales kollektives Selbstverständnis bereitet wahrlich nicht den Boden für eine weltoffene zukunftsorientierte Gesellschaft, die sich wünscht, dass Intellektuelle und Künstler auf der Höhe der Zeit mit den Mitteln der Zeit brennende Themen bearbeiten und sie dafür ausreichend mit Infrastruktur und Ressourcen ausstattet. Solch eine Gesellschaft wird vermutlich das Zeitgenössische eher als letztes Aufgebot betrachten, und wenn es nach den Kürzungen irgendwer doch noch schaffen sollte weiterzumachen, sowas muss eine Demokratie dann halt aushalten...

Ulli Mair