Der beste #postmoderna Sommer ever

Was wäre, fragten Freund*innen und ich uns neulich bei einem Ausflug zur Brandenberger Ache, wenn wir uns in Zukunft alle auf Flachware konzentrierten? Und was ist Flachware eigentlich?

Wären wir, fragte ich selbst mich weiter, andere, glücklichere, würden wir uns für Flachware begeistern? Was wird uns dieser zweite Pandemiesommer bringen? Wird sich am Coolheits- und Beliebtheitsranking der Impfstoffe oder an ihren Kosenamen (Jay-Jay, Mausderna, Fizzers) noch was ändern? Werden bald weitere, coolere Impfen zugelassen und Jay-Jay vom Thron gestoßen werden? Geht’s nach dem Impf-Sommer zurück zur Normalität oder setzt sich die Erkenntnis durch, dass die alte Normalität selbst das Problem war?(c) Martin Fritz

Apropos Sommer: Wird der Song „Solar Power“ von Lorde der Sommerhit 2021? Wird die Brandenberger Ache zum regionalen Trend-Fließgewässer des Sommers? Oder haben der Inn oder die Sill da noch ein Wörtchen mitzureden? Wird eigentlich die Sillschlucht oder das SOWI-Areal der Karlsplatz Innsbrucks? Wie lange wird „der Karlsplatz einer Stadt sein“ noch als Metapher allgemein verständlich bleiben für jenen Ort einer Stadt, wo sich feiernde Jugendliche und Polizei in regelmäßige Auseinandersetzungen um Hygienevorschriften und öffentlichen Raum begeben? Apropos Karl: Werde ich noch einmal in meinem Leben auf einem Felsen mit Blick auf die Adria sitzen und ein lauwarmes Karlovačko trinken? Habe ich im vorigen Satz wirklich den Markennamen eines Biers erwähnen müssen und somit Werbung für den diese Marke besitzenden Heineken-Konzern machen müssen, oder wäre auch einfach „ein lauwarmes Bier“ gegangen? Ist Heineken eigentlich ein besonders schlimmer Konzern oder einfach nur gleich schlimm wie vergleichbare andere Firmen? Ist Bierbrauen eigentlich ein arbeitsintensiver Prozess und wie schlecht werden die Arbeiter*innen von Bierkonzernen bezahlt? Wie viel Grad Celsius Erderwärmung werden einmal auf das Konto des Brauens, Abfüllens und Transportierens von Bier gehen? Wird beim allnächtlichen Doomscrolling im Sommer 2021 die Klimakrise, der wiederkehrende Faschismus oder die Delta-, Epsilon-, und Zeta-Mutation dominieren? Wann und wie hart wird die nächste Pandemie-Welle dank des schlechten Pandemie-Managements hierzulande einschlagen? Wird die Geschichtsschreibung späterer Zeiten, falls es dann noch eine geben wird, die jetzige Zeit eigentlich als Vorstufe des Faschismus qualifizieren? Ist Doomscrolling als Begriff und soziale Praxis allgemein bekannt oder muss ich erklären, dass damit das Konsumieren von dystopischen Nachrichten am Smartphone gemeint ist, also was die woken jungen Leute heutzutage machen, wenn sie nicht gerade am Karlsplatz Karlovačko aus Dosen trinken, Flachware anfertigen oder in der Kaiserklamm baden und dabei „Solar Power“ von Lorde hören? Woher will ich eigentlich wissen, was junge Leute heutzutage machen?

Werden Diskurse rund um Schlagworte wie Woke- und Cancel-Culture bzw. Political-Correctness eigentlich im so genannten Feuilleton wirklich auf immer noch erbärmlicheren Niveau geführt, oder kommt nur mir das so vor, weil ich langsam so alt werde, dass ich die selben „Meinungen“ schon zum dritten Mal höre, von den immer gleichen und immer neuen Alten Weißen Männern vorgebracht? Oder ist das alles insgesamt eh nebensächlich und wird im Rückblick niemand 2021 mehr als das Jahr bezeichnen, in dem der deutschsprachige Raum im Medienmainstream armseelig über Cancel Culture diskutierte? (c) Martin Fritz

Habe ich jetzt das für mich erträgliche Maß an schlechter Laune, Thematisierung des Abzulehnenden und allgemeiner Negativität überschritten und hätte ich die vorigen Zeilen nicht besser nutzen können, z.B. um auf Initiativen und Aktivitäten hinzuweisen, die darauf hinwirken, dass nicht alles nur immer schlechter wird, sondern im Gegenteil etwas sogar besser? Hätte ich z.B. auf das Autor*innen-Kollektiv „Writing with CARE / RAGE“ hinweisen sollen, die auf die Ungerechtigkeiten bei der Verteilung von Care-Arbeit und dem allgemeinen prekären Herumwurschteln hinweisen, das künstlerische Arbeit halt auch ist, ganz gleich ob Flachware oder literarische Texte dabei rauskommen sollen? Schafft ihr das selbst, „Writing with CARE / RAGE“ in eine Suchmaschine einzugeben?

Bin ich stolz drauf, jetzt wenigstens noch eine Extrarunde Selbstmitleid und Selbstreflexion angesichts der gefühlten Ohnmacht angesichts von zu viel Doomscrooling vermieden zu haben? Oder ist es wichtig, dieses Gefühl der Ohnmacht zu thematisieren, weil es vielen so geht, die dann wenigstens wissen, dass sie nicht allein damit sind? Soll ich nach dem Mausderna-Sommer Flachware darüber machen?

- Martin Fritz