Dive, Donne und andere, merkwürdige Kombinationen

Wer mir auf Social Media folgt, hat eventuell mitbekommen, dass mich neulich wieder einmal eine meiner Obsessionen für einen Song überkommen hat, die mich sämtliche Coverversionen durchhören lässt (die Kolumne berichtete) und dass mich diesmal „I'd Love You To Want Me“ getroffen hat. Die beste Version davon stammt, wie allgemein bekannt ist, von Liza Minnelli.

 

(c) Martin Fritz
Foto: Martin Fritz

Da ich gerade als Stadtschreiber im Schwarzwaldstädtchen Hausach weile (ich erwähne das natürlich vor allem, um damit anzugeben, aber nebenbei auch, um damit etwas anzusprechen, was vermutlich viele Leser*innen dieser Kolumne betrifft, die ebenso irgendwo im so genannten Kunst- und Kulturbereich herumpräkarisieren), versüßt mir also Liza Minnelli (of all people!) meine Spaziergänge durch hitzeflirrende Straßen, in denen das Thema Carports und Garagenstellplätze noch so richtig ernst genommen wird. Während mich die Vorgärten einer badischen Kleinstadt bezaubern, schmachtet Minnelli weit über alle Regeln des guten Geschmacks hinausgehend gegen die Bläser vor dem letzten Refrain an. Von außen betrachtet schon eine wüste Kombination!

Es ist generell das Konzept Aufenthaltsstipendien objektiv betrachtet auch strange. So sehr es von der Geber*innenseite her nachvollziehbar ist, dass sie die geförderten Künstler*innen gern vor Ort haben und so erfreulich für Kulturschaffende der Geldsegen und Tapetenwechsel ist, lässt sich doch auch fragen, ob es immer die objektiv beste Idee ist, jemand aus allen gewohnten Arbeitszusammenhängen herauszureißen und sich davon eine gesteigerte Produktivität zu erwarten. Ich will mich persönlich keineswegs beklagen, im Gegenteil. Ich muss (anders als andere) keine Sorgearbeit für Angehörige leisten und kann mich somit überall aufhalten. Paradiesischerweise kann ich hier also hauptamtlich und offiziell tun, was ich sonst auch stets getan habe: planlos herumstrawanzen und dabei Pop-Musik hören.

Und Lesen, das kommt natürlich noch dazu. Auch in diesem Gebiet habe ich mir ein buntes Menü zusammengestellt. Bisher ware dabei nebst Biografien über Minnellis Mutter Judy Garland (eine längere Geschichte, die ein andermal zu erzählen ist) Texte von Legacy Russell (ein mich ewas ratlos zurücklassendes Cyberfeminismus-Update), Bini Adamczak (die wichtigste deutschsprachige queere kommunistische Autor*in), Dietmar Dath (eine gefühlt 8.000 Seiten lange Abhandlung über SciFi) und (of all people!) Adalbert Stifter (gilt vollkommen zurecht als der langweiligste Autor ever). Die eindrücklichste Lesererfahrung ist aber die Zeitschrift „Diva e Donna“. Bei jedem Italien-Aufenthalt erwerbe ich so viele Ausgaben wie möglich dieser Frauenzeitschrift, die so anders ist als sämtliche mir bekannten Frauenzeitschriften, und zehre dann von diesem Archiv. Es ist unglaublich, welcher positive Vibe darin vorherrscht, es wird vor allem Positives über italienische Celebrities berichtet. Body- oder Slutshaming ist vollkommen unbekannt. Es wird vor allem gelobt, wie sich die diversen TV-Moderatorinnen, Sportlerinnen und Influencerinnen beim Baden in der Hitze Sardiniens und auf den Sozialen Medien präsentieren, welche süßen Partner*innen sie ergattert haben, und wenn doch einmal über Trennungen, Krankheiten oder andere Übel berichtet werden muss, dann passiert das achtungsvoll und einfühlend. Zumindest ist das, was bei meinen mangelhaften Italienischkenntnissen bei mir ankommt, da ich – wie bei allem, was ich nicht verstehe – einfach vom besten ausgehe und es mir dementsprechend ergänze und zusammenreime. Es ist ungemein entspannend, Halbverstandenes und Halberfundenes über Prominente zu lesen, die mir großteils vollkommen unbekannt sind. 

(c) Carmen Sulzenbacher
Foto: Carmen Sulzenbacher

So vergeht der Tag, manchmal klicke ich sehnsüchtig durch die Fotos von den Festivals „Alles Gute“ und „Heart of Noise“, ärgere mich über die Vorwürfe wegen Lärmbelästigung, aber nur kurz, denn sie passieren in einer anderen Provinz als der, wo ich gerade bin.

Und während ich diese fast schon stifterische Idylle fast ungeteilt genieße, brennt die Welt durch die Klimakatastrophe buchstäblich. Wenn es so weitergeht, ist von Minnelli über Stipendiumswesen bis hin zu feministischer Theorie, Festivals und Frauenzeitschriften bald alles egal, das lässt sich nicht mehr ignorieren. Es ist dies gewiss kein Thema, das am Ende einer Kolumne in wenigen Zeilen behandelt gehört. Es ist daran gewiss nicht das Wichtigste, was jemand wie ich dazu fühlt. Dennoch denke ich, es ist halt auch unsere Aufgabe als Kunst- und Kulturschaffende, zu artikulieren, was wir dabei spüren: Wut, Trauer, Ratlosigkeit und die Hoffnung, dass auch andere, spätere noch planlos wilde Kombinationen genießen und Gutes dazu fantasieren werden können.

- Martin Fritz