Bekanntlich liebe ich Begriffe (und das damit bezeichnete), die jene Gefühle beschreiben, die eins haben soll angesichts des mit ihnen Bezeichneten. Vor allem mache ich das, wenn es positive Feels und Einstellungen sind: Small Talk, PDA, Easy Listening, Goodiebag, Wellness – gerne sage ich in bangen Stunden solches vor mich hin und sehr häufig hilft es mir auch.
Als (nicht nur, aber auch aus diesen Gründen) Wellness liebende Person begab es sich nun neulich, dass ich bei einem Kurztrip nach Sterzing in einer Sauna saß, in der zu einem als besonders heftig angepriesenen Aufguss Songs der Band Rammstein gespielt wurden. Nur wurde mir das erst hinterher durch Nachfragen bewusst, da ich mir mein bisheriges Leben so schön eingerichtet hatte, dass ich noch nie eine Sekunde der Musik dieser Band gehört hatte. Natürlich erreichte mich auch meiner Blase die Kunde, dass die Band mit einer Mischung aus konventioneller Pop-Metal-Musik und Rechtsextremismus sowieo diversen weiteren handelsüblichen Schock-Elementen zu „provozieren“ versuche und damit ein großes Publikum erreiche. Diese Information reichte mir, um zu wissen, dass es halt nichts für mich ist. Umso bizarrer war die Erfahrung hinterher zu erfahren, dass diese Songs, die sich anhörten wie lieblos zusammengestückelt aus den verworfenen Ideen aus einem sehr unmotivierten 10-minütigen Brainstorming sehr ignoranter 14-Jähriger aus dem vorigen Jahrtausend, dass diese Musik jene sei, die angeblich irgendwen irgendwann irgendwie provoziert oder sogar begeistert haben soll. Eher scheint mir das Gesamtwerk von Rammstein Musik zu sein für Leute, die an Pop-Musik, Kunst oder Zeichenbenützung allgemein nicht interessiert sind und denen deshalb dieser halbgare Auflauf bereits mehrmals abgefrühstückter Elemente originell erscheint (und ich darf das sagen, ich habe als Recherche für diese Kolumne eigens 2 ½ YouTube-Videos durchgescrollt bevor ich aus Langeweile nicht mehr konnte).
Aber nichts ist so langweilig, als dass es nicht doch nützlich werden kann. Denn da ich die Freude habe, im Mai in der p.m.k ein Panel zu Pop und Grenzüberschreitung zu moderieren, dachte ich beim nächsten Aufguss weiter über Provokationen und Pop-Musik nach, während hintereinander Christian Rock und Anohni gespielt wurde, und nein, das habe ich mir nicht ausgedacht.
Wie Rammstein Nazikram zu Provokationszwecken einzusetzen ist (neben allem anderen!) schon allein deshalb sinnlos, weil die gesamtgesellschaftliche Diskursverschiebung inzwischen bereits so weit ist, dass rechtsextreme Positionen in der ganz normalen Mitte komplett salonfähig geworden sind. Vielleicht ist auch davon abgesehen, überlegte ich dann schwitzend und amüsiert von der vipitenischen Musikauswahl weiter, ein Provokationsmodell, das auf Grenzüberschreitungen im Bereich von Härte, Männlichkeit und Viszeralem abzielt, obsolet geworden, sofern es überhaupt jemals etwas anderes war? Ich nenne das für mich selbst auch gern das Frank-Zappa-Modell der Pop-Provokation: Alte weiße Männer brechen aus der verschontesten Subjektposition, die es überhaupt gibt, heraus Tabus, die sie selbst kaum betreffen. Kein Wunder, dass das ein großes Publikum findet und die restlichen nicht interessiert. Und kommt das einfach nur lauter, brutaler, heftiger, schneller Sein nicht einfach allgemein schnell an Grenzen, die zeigen, wie wenig brauchbar es überhaupt jemals war? Ist ein auf körperliche Zeichensysteme wie Sex und Gewalt zugreifendes Provokationsmodell des Weitermachens nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt oder jedenfalls inzwischen gründlich over, weil sich seine Grenzüberschreitungen so schnell abstumpfen und die Inflation nicht beliebig durch Steigerung abgefangen werden kann? Ist es nicht sogar Pop-Musik-gemäßer, die im Steigerungsgedanken stehenden Originalitätsanforderungen abzulehnen, auf die Wiederholung der Wiederholungen, auf die feinen Nuancen und Verästelungen von Loops zu setzen? Auf Künstlichkeit und Schabernack?
Ist nicht 2023 die adäquate Provokation, sanfter, cuter und verwirrender zu werden? Ist nicht ein Spielfilm wie Greta Gerwigs „Barbie“, dessen Trailer gerade das Internet aufwühlte, während ich nahe Pfitsch schwitzte, die spannendere Grenzüberschreitung? Drückt nicht Lana Del Rey mit ihren Songs über toxische Beziehungen und problematische Geschlechterverhältnisse die relevanteren Knöpfe bei den genau solches betreffenden Leuten?
Doch möglicherweise sind solche Sauna-Gedanken Quatsch, denke ich dann wieder in bangen Stunden, und sage es vor mich hin wie einen auswendig gelernten Eingangsmonolog eines Lana-Del-Rey-Songs: Small Talk, PDA, Easy Listening, Goodiebag, Wellness. Und manchmal hilft es mir sogar.
- Martin Fritz