We’ve Come a Long, Long Way

Lotte Tobisch unterhielt in den 1960er Jahren bekanntlich mit dem – im ersten Jahr meiner Programmheft-Kolumne hier bereits behandelten – Philosophen und Musikkritiker Theodor W. Adorno einen Briefverkehr, der 2003 veröffentlicht wurde und den ich letzthin las. Es lässt sich daraus wohl nur ansatzweise erahnen, wie klug, witzig und charmant Lotte Tobisch auch privat ist und wie viel sie mit ihrem Organisationstalent unbemerkt und unbedankt für so viele bekannte und geschätzte Intellektuelle und Künstler*innen bewirkt hat – wie eben auch für Adorno, dem sie neben Buchprojekten und wertvollen Bekanntschaften auch viele gut dotierte Vorträge und Auftritte im Fernsehen verschafft hat. Deutlich wird aus den Briefen auch ohne dass es explizit ausgesprochen wird, wie nah im Österreich der 1960er viele damals nachwievor unbescholten das Kunst- und Kulturleben mitprägende Nazis und deren Opfer (bzw. die Überlebenden deren Terrors) zusammen leben und arbeiten mussten.

...Außerdem lernen wir darin Tobischs Haushund namens Dagobert kennen, der in der „Liste bekannter Hunde“ auf Wikipedia rätselhafterweise ebenso fehlte wie seine Tochter Bianca, die Hündin des späteren Bundeskanzlers Kreisky. Als ich naturgemäß beide Hunde gewissenhaft in die übrigens auch sonst große Lücken aufweisende Liste einpflegte, kam Bianca jedoch neben Blondi zu stehen. Das konnte ich wiederum nicht so stehen lassen. Zum Glück gibt es einen Darsteller von Kommissar Rex namens B.J., der hier alphabetisch passte. Bei der Gelegenheit ergänzte ich noch schnell die anderen Rex-Darsteller, und was soll ich sagen, eins führte zum andern und die Arbeit an der Liste bekannte Hunde nimmt aktuell in meinem Leben mehr Platz ein, als mir lieb ist. Terry, Darstellerin von Toto aus Wizard of Oz, die Windspiele des alten Fritz, sämtliche sogenannten Soviet Space Dogs waren zu ergänzen und, und, und… Diese Arbeit macht sich nun eben nicht von allein; ein Ende ist vorerst nicht abzusehen. What a long strange trip it’s been!

In der vor etwa einem Jahr beendeten Fernsehserie “Girls” wirft die so weltfremde und lebensunpraktische wie postmeta-hipe Jessa ihrer besten Freundin Hannah im Streit einmal an den Kopf: “You used to have interesting ideas and now all you do is browse the Internet.” Wie das meiste, was kluge Menschen wie Jessa sagen, ist dieser Satz so großartig, weil er so sehr gleichzeitig stimmt und nicht stimmt. Ich darf mich da mitgemeint fühlen, denn natürlich hätten Leute wie Tobisch und Adorno niemals so Verqueres getan, wie die Hundeliste zu bearbeiten und so haben sie dafür gute Ideen gehabt.

Foto by Daniel JaroschDer ebenfalls hier bereits ein Rolle gespielt habende Schriftsteller, Musiker und DJ Thomas Meinecke, der übrigens zum Start der Veranstaltungsreihe “OHNE THEORIE KEINE REVOLUTION” im März zu Gast in der p.m.k. sein wird, hat bekanntlich auch interessante Ideen, dies aber wohl vor allem dadurch, dass er Abseitigem, Entlegenem und Verschrobenem folgt, in seinem jüngsten Roman etwa den nun wirklich nicht unter Mode-Verdacht stehenden Philosoph*innen Jean-Luc Nancy (of all people!) und Hélène Cixous. Auf deren Pfaden ist der ausgebuffte Diskurspop-Theoretiker inzwischen zum Proponenten von ausgerechnet so etwas wie „Zärtlichkeit“ geworden, die doch jahrzehntelang als von naiven Hippies vollkommen diskreditiertes und korrumpiertes Konzept gegolten hatte und inzwischen auf seltsamen Umwegen – sozusagen als eine Art verschärfte Zärtlichkeit härterer Gangart – wieder möglich ist. Ein Ziel wäre demzufolge, immer sanfter, zärtlicher und abseitiger zu werden, während Hass, Wut und das Laute inzwischen den Falschen und dem Mainstream gehören. Schon merkwürdig, wie sich die Dinge ändern. Oder wie es eine weise Frau einst ausdrückte: We’ve come a long, long way together.

Etwa 50 Jahre nach den 1960er Jahren jedenfalls sieht es in der sogenannten Real- und Kulturpolitik danach aus, dass wir bald mit Rechtsextremen nah zusammenarbeiten müssen. Ich weiß dabei nicht, ob es sinnvoll ist, aus der berechtigten Empörung (z.B. über z.B. die Absicht, queere und feministische Kunst nicht mehr zu subventionieren) heraus Interviews mit Rechtspopulisten immer wieder und immer wieder im Internet zu lesen und sie in den Social Media immer wieder und immer wieder zu teilen, oder ob das nicht genau das erfüllt, was die Rechten damit bezwecken: Aufmerksamkeit zu bekommen, laut zu sein. Aber ich habe dafür auch gar keine Zeit: Bei der Liste bekannter Hunde ist immer viel zu tun. Und beim sonstigen Verschrobenen und Zärtlichen natürlich auch.

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Martin Fritz (erschienen als Vorwort im p.m.k Programmfolder 03/04_2018)