Unlängst stiess ich auf eine interessante Presseaussendung des Rektors der Universität für angewandte Kunst Wien. Gerald Bast nimmt dabei unter dem Titel -Österreich ist eine Kulturnation...!?- Bezug auf jüngste Entwicklungen in der österreichischen Politik und beklagt an Hand von uns allen bekannten Beispielen, insbesondere aus dem Bereich Inneres oder Bildung, eine generelle Verrohung der politischen Kultur:
„...Einige wenige regen sich kurz auf über dieses "Sittenbild". Dann wird die Schraube der politischen Kulturlosigkeit eine Umdrehung weiter gedreht. Und die gesellschaftliche Toleranzgrenze wird neuerlich nachjustiert: Was vorgestern noch als schamlos galt, wird übermorgen toleriert und ein halbes Jahr später zur politischen Geschäftsgrundlage...“
Währenddessen die Politik insgesamt, und das nicht nur in Österreich, die Schrauben sowohl inhaltlicher als auch verbaler Schamlosigkeit für sich selbst immer lockerer zu drehen scheint, mischt sie sich vermehrt in Felder ein, die demokratiepolitisch seit jeher besonders geschützt sind. Ausgerechnet in der Kunst, deren Freiheit der Ausübung nicht umsonst ein besonderes verfassungsrechtlich verankertes Grundrecht darstellt, ausgerechnet dort werden die Schrauben dessen, was als schamlos und damit als gesellschaftlich tolerierbar gilt deutlich merkbar angezogen. Und das ist nur auf den ersten Blick paradox, lauert doch gerade in der Kunst jenes kritische Wahrnehmungspotenzial, das in der Lage und wohl auch gewillt ist, den Finger in gesellschaftliche Wunden zu legen, was in gewissen Zeiten offenbar unerwünschter ist als sonst. In solchen Zeiten wird Kunst dann gerne zu einem Genre mit möglichst seichtem Freizeit- und Unterhaltungswert degradiert und künstlerischen Arbeiten bestenfalls noch ein dekorativer Mehrwert zugesprochen. Der Rest wird ausgeblendet oder um es drastischer zu formulieren: verboten.
In der Presseaussendung des Rektors der Universität für angewandte Kunst in Wien heisst es dazu:
„...Was muss noch passieren in diesem Land, bevor alle Dämme brechen? Wird Kultur endgültig verbannt in Museen, Theater und Konzertsäle, die dann als kulturelle Stundenhotels zur Erholung von den täglichen Grauslichkeiten dienen, als geistige Rehabilitationszentren, damit man mental wieder in der Lage ist, mit der Realpolitik umzugehen? Oder gibt es eine Chance, dass Kunst und Kultur wieder aktiv teilnehmen am Wettstreit um die Definitionsmacht des gesellschaftlichen Wertesystems und der Zukunft unserer Gesellschaft?...“
Damit Kunst und Kultur wieder aktiv teilnehmen können am Wettstreit um die Definitionsmacht des gesellschaftlichen Wertesystems und der Zukunft unserer Gesellschaft, darf eines, wie die Aufregung um die Flatz Performance mehr als deutlich gezeigt hat, nicht passieren: Zensur. Es geht dabei nicht um persönliche Geschmäcker, diese seien jedem unbenommen. Ich halte es aber für die Pflicht politisch verantwortlicher Personen, schon allein vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlich garantierten Grundrechts der Freiheit der Kunst sich bedingungslos schützend vor die Kunst zu stellen.
Alles andere ist gefährlich. Politisch handelnde Personen haben Vorbildcharakter. Das gilt es in solchen Fragen mit zu bedenken, um nicht schwelenden Tendenzen in unserer Gesellschaft Vorschub zu leisten und ihnen eine Bühne zu eröffnen. Aussagen wie in dem TT Leserbrief vom 20. Jänner 2010, der Künstler Flatz gehöre in die Psychiatrie gesperrt oder statt der Schweine für Lawinenexperimete eingesetzt, rücken uns gesellschaftlich in eine gefährliche Nähe zu einer Geisteshaltung, aus deren geschichtlichen Konsequenzen wir doch hoffentlich gelernt haben?
Ulli Mair