Sommer- und sonstige Löcher

Mitten im Sommer eine Kolumne für den Herbst zu schreiben, das ist immer das Schwierigste. Abgesehen davon, dass man sich zu
diesem Zeitpunkt nicht im Geringsten auch nur ansatzweise vorstellen möchte, dass die Tage jetzt schon kürzer werden und es dann
bereits kalt und dunkel sein wird, also abgesehen von diesen eher unerfreulichen Umständen, gibt es dafür noch einige andere, weitaus
erfreulichere, Gründe. Also wenden wir uns denen zu.

Einmal fällt einem nichts ein. Das ist auf den ersten Blick zwar ein wunderbarer Zustand, ein Zustand innerer Gelassenheit, der von einem wohligen Gefühl der Entspanntheit und Unaufgeregtheit zeugen mag. Allerdings mit dem erheblichen Nachteil, dass, wenn sich der so genannte Redaktionsschluss täglich näher anschleicht, sich das wohlige Gefühl der Entspanntheit und Unaufgeregtheit schlagartig ändert und zusehends mehr und mehr in Verzweiflung umschlägt. Man weiss dann wahrscheinlich wieder einmal mehr, warum deadline deadline heisst. Aber es fällt einem trotzdem nichts ein!

Und auch das hat an und für sich erfreuliche Gründe. Im Sommer ist der Alltag mehr oder weniger ausser Kraft gesetzt oder, sagen
wir mal, in seinen sonst oft hektischen Auswirkungen zumindest erheblich heruntergefahren. Die Schreibstuben derer, über deren
Tätigkeiten und potentielle Machenschaften man sich sonst möglicherweise hätte aufregen können, tümpeln auf Halbmast, also gibt
es darüber wenig zu berichten. Und auch sonst fällt nichts Gröberes vor, da die halbe Stadt ohnehin ausgeflogen ist und die andere Hälfte
diesen beruhigten Zustand dazu nützt, sich gemütlich in Gastgärten, Schwimmbädern oder an heimischen Badeseen aufzuhalten und
dort aufgrund allgemeiner Zufriedenheit auch eher nicht dazu neigt, wesentliche Akzente zu setzen, über die es wert wäre sich weiter
Gedanken zu machen. Es liegt also auf der Hand, dass einem nichts einfällt, weil einfach nichts vorfällt.

Denkt man all diese Gründe zusammen, so könnte man leicht zu der Überzeugung gelangen, dass das Phänomen Ferien, als flächendeckender Zustand kollektiver Entschleunigung den zumindest vorübergehenden Untergang der schreibenden Zunft herbei führt. Und
so ist es auch. Die Menschheit hält dafür seit jeher den treffenden Begriff „Sommerloch“ parat. Wenn man jetzt nicht gerade das Glück
hat, dass sich irgendwo auf der Welt oder gar im eigenen Land etwaige erwähnenswerte Natur- oder sonstige Katastrophen ereignen
oder von höherer Stelle für das gesamte Jahr ein übergeordnetes Thema ausgerufen worden wäre, über das es sich selbst im Sommer
lohnt zu echauffieren, wenn all das wie heuer zumindest bis Redaktionsschluss nicht zutrifft, dann hat man einfach Pech gehabt.

Jetzt könnte man allerdings, wenn man ein ehrgeiziger Schreiberling wäre, auf allerhand listige Ideen kommen. Man könnte geheime
Tagebücher verfassen und sie sich selber zuspielen. Die geheimen Tagebücher der Hilde Zach. Das wär doch schon mal was. Man
könnte geheime Konten erfinden, und die – am besten bereits verstorbenen – Landeshauptleuten zuschreiben, damit würde man sogar
den Schaden für noch Lebende erheblich begrenzen. Die verschwundenen Milliarden der Ära Wallnöfer plötzlich auf geheimen Konten
auf den Bora Bora Inseln aufgetaucht. Auch nicht übel. Man könnte sogar noch einen Schritt weitergehen. Man könnte noch lebende
Exlandeshauptleute fiktiv ein paar Stunden verletzt in eine Tiefgarage legen und abwarten, wie die Bevölkerung reagiert. Zusätzlich könnte
man besonders listig sein und behaupten, die Bevölkerung habe den armen Ex-Landeshauptmann ganze sechs Stunden ohne Hilfe dort
liegen lassen und dazu einen Blog im Internet einrichten. Da käme schon etwas Action ins mediale Sommerloch, besonders wenn man –
besonders bösartig – ein paar Wochen später dementiert und die Story anders darstellt, nämlich dahingehend, dass der arme ExLandeshauptmann gar nicht sechs Stunden in der Tiefgarage gelegen, sondern sich währendessen mit einem FastExLandeshauptmann
habe volllaufen lassen …

Ich allerdings werde mich hüten und keine derlei verwerflichen Spielchen treiben. Ich werde auch nicht behaupten, die EU denke nach der Einführung des Rauchverbotes in Lokalen hinter den Kulissen bereits ernsthaft über die Einführung eines generellen Alkoholverbotes nach. Ich werde mich auch nicht euphorisch darüber auslassen, die Stadt Innsbruck sei dazu übergegangen, an den wenigen
Hochsommertagen das Ende der Musik im Freien bei Open-Air-Konzerten etwas weniger streng zu handhaben, so dass hinkünftig derlei
Peinlichkeiten nicht mehr notwendig sein werden, wie dem Hauptact in der Hälfte des Konzertes, wie heuer beim p.m.k Strassenfest, den
Hahn zudrehen zu müssen. Du mögest uns verzeihen liebe Gustav! Und, ich werde auch nicht, obwohl mich das am allermeisten in den
Fingern jucken würde, von der Eröffnung und dem weltweiten Echo der wie immer hochkarätig besetzten sensationellen diesjährigen
Sommerausstellung in der Kunsthalle Tirol berichten. Nein, ich werde nichts anderes tun, als weiterhin dem Sommerloch zu frönen, mich
gemeinsam mit der anwesenden Hälfte der Bevölkerung gemütlich in Gastgärten setzen und mich ins Schwimmbad oder an heimische
Badeseen legen und mich später der anderen, abwesenden Hälfte anschliessen, ausfliegen und die Stadt noch einmal verlassen. Von
mir aus soll es dann kalt und dunkel sein, von mir aus sollen die Tage kürzer werden, ich werde erholt sein. Und genau das wünsche ich
Euch auch! Es bleibt uns nämlich gar nichts anderes übrig. Wir werden erholt sein müssen, denn es wartet ein heisser Herbst auf uns!

Ulli Mair