Unlängst und ungefähr zur gleichen Zeit, nur zwanzig Jahre früher

Unlängst stand ich nach dem Besuch eines feministischen Performance-Lecture-Festivals bei dessen Afterparty wieder einmal
unter meinem liebsten Neonlicht („Ohne Theorie...“) und hatte eine Epiphanie.

Das kam so: Eine der Lectures bestand aus einer sehr liebevollen und klugen Collage von YouTube-Videoausschnitten, die einander kontrastierend und kommentierend ein Unbehagen an vielen Formen von Männlichkeit formulierten (oder erfragten? ertasteten?), ohne dass dazu ein auf der Bühne sichtbares Subjekt sprechen musste. In einem Ausschnitt war ein Rechtsextremist zu sehen, der vom Großen Austausch sprach. Ich habe die Obsession nie so recht mitfühlen können, mit der sich viele Leute mit Rechtsextremismus beschäftigen, denn so sehr mir die Wichtigkeit antifaschistischen Engagements einleuchtet, fehlte mir einfach immer die Begeisterung dafür, gegen etwas zu sein. Aber dieser Begriff des Großen Austauschs, selbst wenn er von der Gegenseite stammt, ist doch eigentlich eine wunderschöne Vorstellung. Die Rechten spielen damit ja nur den ältesten Trick: Ein Wort erfinden, damit es so erscheint, als gäbe es das damit verbundene (aus ihrer Sicht: Schreckens-)Szenario wirklich, in diesem Fall also die Vorstellung, die „einheimische“ Bevölkerung würde schleichend ausgetauscht. So sehr das Unsinn ist, wie schön wäre es, wenn es das wirklich gäbe, den Großen Austausch. Wohin die Gesellschaft, wie sie ist, im Großen und Ganzen geführt hat, können alle sehen. Wie schön wäre es da, wenn sie einfach komplett ausgetauscht werden würde: Nach mehreren tausend Jahren Knechtschaft, Unterdrückung und Ausgrenzung aller, die anders sind, sind jetzt endlich andere dran.

Aber auch im Kleinen: Wie glitzert da die Vorstellung, selber ausgetauscht zu werden. Ich hatte im Rahmen des Festivals Leute neu kennengelernt, wie es bei solchen Gelegenheiten häufig kommt – wir fanden einander gut, sympathisch und interessant, und wie immer in solchen Situationen wurde diese Freude darüber überschattet von der Frage: Was, wenn sie jetzt draufkommen, dass sie sich getäuscht haben? Noch während wir tanzten und uns am gelungenen Festival und aneinander erfreuten, dachte ich, was sich wohl alle immer denken: Das und alles Folgende sollte jemand anderes machen als ich, jemand besser Aussehendes, Witzigeres und Intelligenteres. Die haben doch Besseres verdient, wie kommt der jetzt dazu, zu meinen alten Witzchen zu lachen, wie kommt die dazu, mein Geschwätz von Resignifizierung von Neonazi-Begriffen, Index-Effekten und TV-Serien anzuhören, wie jetzt nichts Dummes sagen, fragte ich mich, aber nach dem Großen Austausch müsste ich mich das nicht mehr fragen, das müsste sich dann jemand anders fragen oder die Person, durch die ich ausgetauscht werde, fragt sich das alles einfach nicht.

Ungefähr zur gleichen Zeit, nur zwanzig Jahre früher, wurde die bis heute verehrte Fernsehserie Buffy The Vampire Slayer zum ersten Mal ausgestrahlt. Wie in jeder anständigen Fantasy-Serie gibt es auch bei Buffy Alternate Reality-Episoden, also Folgen, in denen die Realität der Serienwelt auf den Kopf gestellt wird, in der Folge The Wish etwa durch einen Fluch, der die Welt der Vampirjägerin Buffy noch schlimmer macht als sie bereits ist (indem er nämlich Buffy von ihren Freund*innen trennt). Als Buffys Mentor Giles eine Möglichkeit findet, den Fluch aufzuheben, stellt sich die Frage, woher er wissen will, dass die echte Welt nicht noch schlimmer sei als ihre. „I have to believe in a better world“, spricht Giles und hebt den bösen Zauber auf. (In einer weiteren Folge führt das Gift eines Dämons dazu, dass Buffy die objektiven Monster ihrer Realität für Halluzinationen hält.

Es ist eigentlich alles gut, nur sie verrückt, so diese Alternate Reality. Hier entscheidet Buffy selbst: Nein, die Übel sind echt, nicht ihre Einbildung.) Anhand von Menschen wie Buffy und Giles, so wurde mir also unter meinem liebsten Neonlicht gewahr, wird der Unterschied deutlich zwischen denen, die den Großen Austausch nur als etwas sehen können, vor dem sie Angst haben, weil sie etwas verlieren könnten, und denen, die daran glauben, dass es besser gehen muss (auch wenn es dafür keine objektiven Gründe gibt). Und solche Menschen schaffen auf einer Meso-Ebene zwischen Großem Falschen und eigenen privaten Selbstauflösungs-Phantasien Räume, in denen wir eskapistische Afterpartys feiern und in denen wir erleben können, dass wir nicht verrückt sind, wenn wir uns auch Besseres vorstellen wollen (und in denen ich bereits zur Vorstellung als Kolumnist hier von meiner Abschaffung träumen und mich um einen Diskurs um alternative Fakten und eine gespaltene Gesellschaft nur spöttisch um die Ecke vorbei zitieren kann). Danke dafür!

Dann signalisierte übrigens noch eine Organisatorin des Festivals dem DJ im exakt richtigen Moment die internationale Toxic-Geste, woraufhin dieser Britney Spears’ schon so oft alles gerettet habenden Song spielte. Um also mit Joanna Russ zu enden: Later we got better.

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Martin Fritz