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Ich hoffe, ihr lieben Meuse hattet alle einen schönen Brat Summer! Ich habe meinen viel in der Vergangenheit verbracht, genauer gesagt einen Retrohype-Cylce (die Kolumne berichtete) früher, also im Jahr 2004.
Vielen ist dieses Jahr sicher in Erinnerung als das, in dem Under My Skin von Avril Lavigne erschienen ist, ein (ich muss das leider so hart sagen) in so ziemlich jeder Hinsicht zweites Album, das wir Lavigne-Connaisseur*innen, die wir nicht immer nur Complicated und den Sk8er Boi hören wollten, damals dennoch von Mini-Disc auf MP3-Player überspielten (das waren kurzlebige Musik-Abspielgeräte der Nullziger, bevor wir wieder zur Vernunft AKA dem Plattenspieler zurückkehrten).
Da die Erinnerung ein trügerischer Vogel ist, empfiehlt es sich vor dem Herummeinen, was 2004 los war, in die WWW-Suchmaske einzugeben: „bitte war Mean Girls eh 2004 danke bussi liebe Suchmaschine“. Einer der ersten Treffer führt auf eine sogenannte Begriffsklärungsseite bei Wikipedia, die auflistet: Mean Girls, Originaltitel der Filmkomödie Girls Club – Vorsicht bissig! (2004), Mean Girls 2, Originaltitel des Fernsehfilms Girls Club 2 – Vorsicht bissig! (2010), Mean Girls (Musical), Musical von Jeff Richmond und Nell Benjamin (2017) und Mean Girls, Originaltitel des Musicalfilmes Mean Girls – Der Girls Club (2024). Immerhin da hatte ich mich also richtig erinnert und der deutsche Verleihtitel Mean Girls – Der Girls Club wird für mich nie nicht lustig sein.
Noch etwas, und das ist weniger bekannt, ist 2004 nebst dem bereits erwähnten, der Eröffnung der p.m.k in den Bögen, fragwürdiger Indiewuckl-Gitarrenmusik, der Rückkehr von Skinny Jeans und Hahnentritt-Muster sowie MySpace in her Prime passiert: Ich saß in meinem WG-Zimmer und las in der Musikzeitschrift Spex einen euphorischen Artikel über das damals neue Album Fabulous Muscles der kalifornischen Band Xiu Xiu. Weil ich wegen früherer Texte des diesen Artikel geschrieben habenden Redakteurs diesem vertraute, warf ich den Filesharing-Client Soulseek an (das war in den Nullzigern so was wie Spotify, nur dass die Artists finanziell mehr davon hatten, weil wir uns später dann deren Schallplatten kauften). Nur ein paar Tage später hörte ich zum ersten Mal Musik meiner zukünftigen Lieblingsband. Um es kurz zu machen: Ich wusste vorher schlicht nicht, dass Pop-Musik, das Kunst das überhaupt kann: so intensiv, schonungslos, klug, verletzlich, stark – es passt eigentlich nur das beste Wort der Innsbrucker Sprache: so zach – so heftige Themen wie Psychische Krankheit, Gewalt, Politik, Queerness und wie das alles zusammenhängt zu verhandeln.
Nach 20 Jahren und drei Xiu Xiu-Konzerten in der p.m.k (im 10-Jahres-Buch ist übrigens Caralee McElroy 2005 abgebildet, die hier schon öfter angeteaserte Anekdote beim 2017er Konzert mit Angela Seo erzähle ich natürlich nicht jetzt), saß ich in den frühen Morgenstunden des 26. September 2023 nach einem Konzert von Xiu Xiu im Chelsea in Wien auf einem Balkon im 5. Wiener Gemeindebezirk, mutterseelenallein mit der Gesellschaft, weinend in einer Mischung aus Trauer, Überforderung und Glück (dafür bräuchte es eine Begriffsklärungsseite!) darüber, nach den Einschränkungen der Pandemie, nach den psychischen Problemen des Sängers Jamie Stewart, die das Touren zwischenzeitlich verunmöglicht hatten, noch einmal meine Lieblingsband live gesehen zu haben.
Ich erzähle das alles nicht, weil Xiu Xiu (oder ich) allgemeine Wichtigkeit beanspruchen können. Bei anderen sind es eben andere Acts, doch das Prinzip ist das selbe: Ohne diese Konzerte wären wir heute nicht hier (im banalen Sinn, dass wir dann halt wo anders wären, als wären wir normale Menschen; und im pathetischen Sinn – einmal in 20 Jahren darf auch das sein – dass wir gar nicht mehr hier wären).
Übrigens habe ich Xiu Xiu auch in meiner aktuellen Kolumne im 20er erwähnt. In meinem Kopf ist das ist ein Crossover wie wenn Sabrina, the Teenage Witch (Originalserie lief 2004 im deutschsprachigen Free-TV!) im Städchen Riverdale der gleichnamigen TV-Serie auftaucht – um auch noch eine Referenz einzubauen für die, deren Xiu Xiu-Moment erst passiert, und die dann hoffentlich in den nächsten 20 Jahren in der p.m.k die einschlägigen Erlebnisse mit neuen Bands erleben werden, bevor die zu groß werden und nur mehr in Wien spielen. Apropos zu groß: Das wird wohl auch gerade der als Inner-Circle-Joke begonnene Brat Summer. Das gibt es eben auch noch, Dinge, die anders als Mean Girls, Avril Lavigne, Sabrina und Xiu Xiu auch zu groß werden können.
PS: Viele weitere Überlegungen zu den ersten und nächsten mindestens 20 Jahren p.m.k bietet das 20-Jahre-p.m.k-Buch, das am 2.11. präsentiert wird, XOXO!
- Martin Fritz