Texte

Im Swimmingpool der Empathie ist an allem zu zweifeln

Seit ich eine Kurzbio habe, die ich an Leute schicke, die so freundlich sind, Texte von mir abzudrucken oder mich als Moderation oder ähnliches ihrer Veranstaltung zu buchen, steht darin der Satz: „Hört sich in der Freizeit gerne DJ Patex’ Coverversion des Songs ‚I Wish I Was Him‘ an“. Wie so vieles habe ich es ursprünglich als Witz reingeschrieben und dann drin gelassen. Ich finde, der Satz funktioniert nachwievor auf sehr vielen Ebenen sehr gut als Kommentar dazu, was wir in ein paar Zeilen zu lesen erwarten um dann zu wissen, wer die damit vorgestellte Person angeblich sei.

Der australische Musiker Ben Lee schrieb diesen Song Anfang der 1990er Jahre im zarten Alter von 13 Jahren als cute, schrummelige Gitarren-Pop-Punk-Ode an sein Idol Evan Dando von der amerikanischen Indierock-Band The Lemonheads und traf so den Sweet Spot von Pop-Musik zwischen jemanden anhimmen sowie sich mit der Person identifizieren und damit sich selbst ermächtigend sie ein Stück weit selbst zu werden.

(c) Martin FritzKathleen Hanna, eine der Mitbegründerinnen der Riot-Grrrl-Bewegung, also der queer-feministischen Antwort auf die die Indierock-Szene der Zeit, und selbst Mitglied vieler bekannter Bands wie Bikini Kill, Le Tigre und heute The Julie Ruin, coverte den Song kurz nach Erscheinen. Sie machte damit deutlich, wie in den 1990ern das, was sich ein australischer Bub erträumte, für eine erfolgreiche Musikerin in den USA immer noch nicht selbstverständlich und also ebenfalls erstrebenswert war: Ruhm, Anerkennung und Unterstützung in der Szene sowie ein Rolemodel für Teenager zu sein wie der besungene Bandleader Evan Dando. Als die Hamburger Musikerin DJ Patex 2004 den Song erneut mit ihrer damaligen Band Knarf Rellöm With The Shi Sha Shellöm coverte, hatte sich daran noch nicht genug geändert, um den Effekt zu verlieren.

Als zu dem Refrain „I wish I was him / he gets the girls at his feet“ Zeilen wie „he's got big biceps and a masculine shout“ oder „he gets his records for free“ aus dem Mund junger Frauen gesungen wurden statt aus jenem eines starstruck Pubertierenden wurde neben dem Hinterfragen der Selbstverständlichkeit der Heterosexualität auch eine für mich damals neue Perspektive auf Männlichkeit deutlich: Für Menschen, denen bei der Geburt das weibliche Geschlecht zugeteilt wurde, kann Männlichkeit abzüglich ihrer toxischen Anteile als durchaus erstrebenswert erscheinen, samt aller Privilegien und Verschontheiten, die damit einher gehen.

Ich selbst hatte (und habe) jedenfalls zu dem mir bei der Geburt zugeteilten Geschlecht namens Mann eher ein Verhältnis wie zu Kleidungsstücken, die ich in den 1980ern und 1990ern von mittelentfernten Verwandten und Bekannten meiner Eltern zum (wie das damals hieß) Auftragen geschenkt bekam: Irgendwie war mir schon klar, dass es schade wäre, sie wegzuwerfen und ich würde vielleicht sogar irgendwann mal reinwachsen, aber mit mir hatten die im Grunde nichts zu tun.

(c) Martin FritzDJ Patex, deren Leben und Werk ich bis auf diese Coverversion nur flüchtig mitverfolgt hatte, ist im Sommer 2023 gestorben. Das traf mich dann doch überraschend. So legte ich ihren noch nicht existierenden Wikipedia-Artikel neu an (ob er bei Erscheinen der Kolumne schon gelöscht sein wird?), als eines dieser hilflosen parasozialen Trauer-Rituale, die wir Mäuse im Spätkapitalismus halt durchführen.

In den Nachrufen, die ich dafür las, stand immer wieder, dass DJ Patex eine Musikerin der 2. Reihe gewesen sei. Dass ich zuvor die Knarf-Rellöm-Band als die ihre bezeichnet habe, ist zutreffend nur insofern sie jahrelang Teil der Band war, aber eben nicht als Bead-Leaderin, sondern als künstlerische Partnerin von Knarf Rellöm (selbst eine ganz vorzügliche 2.-Reihe-Maus!). Und sogar in ihrer tatsächlich „eigenen“ Band School of Zuversicht, mit der sie zwei der verstörend schönsten und in der breiteren Öffentlichkeit untergegangendsten Alben veröffentlicht hat, die ich kenne (wie auch ich erst postum feststellte!), trat sie selbst gewissermaßen hinter das von ihr versammelte Kollektiv zurück. Sie brachte das Kunststück fertig, die Subkultur ihrer Szene maßgeblich mitzuprägen ohne dabei selbst groß aufzufallen.

Angesichts von Formulierungen wie dass ihr der große Erfolg angeblich zeitlebens versagt geblieben wäre, denke ich, es wäre sinnvoller unser Verständnis von Erfolg zu überdenken. Vielleicht ist, was sie getan und wie sie gelebt hat, richtiger und wichtiger als das, was manche so genannte erfolgreiche Musiker der 1. Reihe so tun. In meiner Kurzbio bleibt sie naturgemäß und selbstverständlich drin. Und vielleicht findet sich eine Punkband, die mit mir ein Cover aufnimmt namens: I wish I was her.